Die Küstenpromenade von Durrës im Abendlicht. Laut einem albanischen Sprichwort wird die Sonne tags darauf im Westen aufgehen. Das ist durchaus politisch gemeint.

Foto: Gerald Schubert

Wenn Edi Rama die Geschichte mit dem Polizeischutz erzählt, gerät er richtig in Fahrt. Sie beginnt mit einem Anruf vom Flughafen Tirana. Mehrere Leute würden sich seit einer Dreiviertelstunde weigern, die dortige VIP-Lounge zu verlassen. Rama zeigte sich zunächst irritiert: Warum sollte sich der Airport in dieser Sache an den Regierungschef wenden? Doch in der Lounge saß – samt Delegation – ein Politiker aus einem EU-Staat, der gleich einen Termin bei Rama hatte. Die übliche Polizeieskorte, die zum Flughafen geschickt worden war, reichte dem Gast nicht. Für die Fahrt ins Zentrum der Hauptstadt Albaniens verlangte er nach Begleitschutz durch Spezialeinheiten mit Gewehren.

"Ich habe ihm mitgeteilt, dass wir diesen Service nicht anbieten", sagt Rama, und gibt mit ernster Miene zu verstehen, dass er die Story ganz und gar nicht witzig findet. Für den albanischen Premier steht sie symbolhaft für die negativen Klischees, mit denen er sein Land beinahe täglich konfrontiert sieht. Angeblich mangelnde Sicherheit gehört ebenso dazu wie stereotype Vorstellungen von einer mehrheitlich muslimisch geprägten Gesellschaft.

Laizistischer Staat

Immer wieder weisen Politiker auf die niedrige Kriminalitätsrate im Land hin. Und immer wieder erklären sie, dass Albanien ein laizistischer Staat sei, in dem Muslime, Katholiken, Protestanten und Orthodoxe einander mit Toleranz begegnen – und wo es zum Alltag gehört, dass sie untereinander Ehen schließen und miteinander religiöse Feste feiern.

Doch manch düsteres Bild von dem Land, das zur Zeit der kommunistischen Diktatur als das "Nordkorea Osteuropas" galt, erweist sich als nahezu unerschütterlich. Besonders schmerzhaft ist das für viele gerade jetzt, wo Albanien auf die baldige Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen hofft, wie sie die Europäische Kommission erst im April empfohlen hatte. Entscheiden soll der Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juni. Doch im Vorfeld gab es aus einigen Staaten negative Signale, insbesondere aus Frankreich.

Sorge um Reformenergie

Der französische Präsident Emmanuel Macron will eine Erweiterung der EU nur dann unterstützen, wenn zuvor eine Vertiefung und Reform "unseres Europas" gelingt. Diese Haltung sei "absolut legitim", erklärt Albaniens Premier Rama, aber: "Auch wir brauchen Reformen, um beitreten zu können. Und dafür brauchen wir Hilfe." Einfach nur Nein zu sagen sei nicht der richtige Weg.

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Albaniens Premierminister Edi Rama nach seinem neuerlichen Wahlsieg im Juni 2017.
Foto: Reuters

Rama fürchtet, die derzeitige Reformenergie im Land könne schwinden, falls positive Antworten von EU- Seite ausbleiben. "Natürlich sind wir noch nicht reif für den Beitritt", sagt auch er. "Aber deshalb gibt es ja die Verhandlungen." Verhandlungen, die auf klar definierte Hausübungen und überprüfbare Fortschritte in konkreten Bereichen hinauslaufen würden. Letztlich, so Rama, gehe es gar nicht so sehr um die EU-Mitgliedschaft selbst, sondern um die Modernisierung des Landes. "Und genau dabei könnten uns die Beitrittsgespräche helfen." Erion Veliaj, 39-jähriger sozialistischer Bürgermeister von Tirana, sieht das ähnlich: Wenn Albanien auf die Dauer hingehalten werde, dann "wird der tägliche Kampf für europäische Werte schwieriger".

Vertrauen stärken

Der EU-Kurs der sozialistischen Regierung kann laut Umfragen auf breite Unterstützung zählen. "Bei einem Referendum über den EU-Beitritt würden mehr als 90 Prozent mit Ja stimmen", sagt Vangjush Dako, Bürgermeister der Küstenstadt Durrës, ebenfalls ein Sozialist. Der Hafen von Durrës ist ein wichtiger Handelsknotenpunkt. Schon allein die Aufnahme von Beitrittsgesprächen könnte das Vertrauen ausländischer Investoren stärken und die Wirtschaft weiter ankurbeln.

Die konservative Opposition gibt vor allem der Regierung die Schuld, wenn Albanien im Ausland misstrauisch beäugt wird. Die Vorwürfe reichen von Korruption bis zur Verstrickung höchster Polizeikreise in den Drogenhandel. Genc Pollo, seit mehr als 20 Jahren Abgeordneter der rechtsgerichteten Demokratischen Partei, ist prinzipiell für den EU-Beitritt. Alles andere würde "das Land isolieren und den Verbrechern zugutekommen", so Pollo. Viele in seiner Partei würden einen baldigen Verhandlungsstart unter Premier Rama aber gerne verhindern.

Erfolgreiche Justizreform

Regierungspolitiker verweisen indes auf die Erfolge der Justizreform, die mithilfe westlicher Experten auf den Weg gebracht wurde und von diesen auch weiter begleitet wird. Und manch ausländischer Skeptiker rückt vor Ort seine bisherigen Vorstellungen vom Land zurecht: Der Politiker, der schließlich doch ohne Spezialeinheiten vom Flughafen ins Stadtzentrum aufbrach, hat sich später bei Premier Rama entschuldigt. (Gerald Schubert, 21.6.2018)