Bereits im Vorjahr kamen mit rund 170.000 Menschen 50.000 Flüchtende weniger über das Mittelmeer nach Europa als 2014, dem Jahr vor der großen "Flüchtlingskatastrophe". Dennoch beherrscht das Thema weiterhin die europäische Politik. Bei einem Sondergipfel am Sonntag sollen Entscheidungen zumindest vorbereitet werden.

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Trotz sinkender Flüchtlingszahlen in Europa und weniger Asylanträgen wird das Thema der (illegalen) Migration derzeit so prominent und breit diskutiert, wie es zuletzt auf dem Höhepunkt der Migrationsbewegungen im Jahr 2015 der Fall war. Das liegt auch daran, dass seither die rechts-konservative Politik in Europa deutlich auf dem Vormarsch ist und deren Vertreter seit geraumer Zeit nun auch Spitzenpositionen in für Migrationsfragen entscheidenden Ressorts besetzen. Mit Horst Seehofer (CSU), Herbert Kickl (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega) besetzen drei Rechtspolitiker die Innenministerien in jenen Ländern, die unlängst von Bundeskanzler Kurz (ÖVP) historisch-semantisch bedenklich als "Achse Berlin-Wien-Rom" bezeichnet wurden. Der "Antimigrationsgruppe" ist die Themenführerschaft gelungen.

Mini-Migrationsgipfel

Das zeigt auch der von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch bestätigte eilig einberufene Minigipfel am Sonntag in Brüssel, wenige Tage vor dem eigentlichen großen EU-Gipfel mit allen 28 Mitgliedsstaaten am Donnerstag und Freitag nächste Woche. Zu den Regierungschefs "interessierter Staaten", wie Juncker die von Migration hauptbetroffenen Länder nennt, die er zum "informellen Arbeitstreffen" einlud, zählen neben Deutschland, Österreich und Italien – wie noch am Sonntag von Angela Merkel angedacht – nun auch Frankreich, Bulgarien, Spanien und Griechenland.

Wie der Standard erfuhr, sollen dabei vor allem drei Aspekte im Vordergrund stehen. Erstens: ob und wie die einzelnen Staaten Asylwerber zurückweisen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Antrag gestellt haben. Die Weiterwanderung in andere Staaten soll möglichst verhindert werden. Zweitens: wie man weitere Grenzschließungen im Inneren verhindern kann. Die bisherigen Kontrollen sind ja nur Ausnahmen von den Schengen-Regeln. Und drittens: wie man rascher beim geplanten Ausbau von Frontex und der Kontrolle der EU-Außengrenzen vorgehen könnte.

Tusk in der Offensive

Diese drei Bereiche gelten als Schlüsselfaktoren für die weitere Eindämmung illegaler Migration nach Europa, um geordnet und nach erneuerten EU-Regeln jenen Flüchtlingen helfen zu können, die in der EU schutzberechtigt sind. Dazu liegen seit gut einem Jahr ganze Bündel an Einzelvorschlägen auf dem Tisch, die aber wegen der zerstrittenen Lage der Staaten nicht umgesetzt werden können. Um aus dem Gipfel mit Erfolgsmeldungen herauszugehen, geht der Ständige Ratspräsident Donald Tusk deshalb bereits vorher in die Offensive. Er reist durch die Hauptstädte, mit vorbereiteten Gipfelschlusserklärungen in der Tasche, die eine deutliche Veränderung und Verschärfung der bisherigen Migrations- und Asylpolitik bringen würden.

Tusk tut damit das, was er bereits vor zwei Jahren im März 2016 getan hatte, als er beim EU-Gipfel die Formulierung "Die Balkanroute ist geschlossen" als Erklärung der Staats- und Regierungschefs vorgab. Merkel, lange Vorreiterin einer liberalen Migrationspolitik, protestierte zwar zunächst gegen die klare Formulierung, lenkte dann aber in der Sache ein. Ähnliches ist wohl auch vom diesjährigen Gipfel zu erwarten. Tusk spricht sich diesmal auch offen für den Plan aus, in Nordafrika, jedenfalls "außerhalb der EU" Asylaufnahmezentren zu errichten. Dadurch sollen Flüchtlinge daran gehindert werden, "die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer" anzutreten. In diese "Ausschiffungsplattformen" (Tusk) sollen auch jene Menschen gebracht werden, die bei ihrer Fahrt über das Meer geborgen werden.

Asylzentren Ja oder Nein?

Der Vorstoß mit den Asylzentren ist auch deshalb brisant, weil EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Dienstag sagte, dass solche Initiativen in Brüssel bisher nicht diskutiert wurden – weder mit Albanien noch mit einem anderen Land. Dass Albanien immer wieder als eventuelles Asylaufnahmezentrum genannt wird, verwundert. Die Schaffung eines solchen Zentrums sei, so der Kabinettschef des albanischen Innenministeriums, Adriatik Mema, im Gespräch mit dem Standard, "kein Thema". Berichte über eine angebliche Entsendung österreichischer und deutscher Polizisten an die albanische Grenze aufgrund bilateraler Vereinbarungen werden vom albanischen Innenministerium ebenso zurückgewiesen.

Streitigkeiten in der EU

Tusks Vorschlag erinnert an das immer wieder ins Spiel gebrachte, "australische Modell", das wegen behaupteter Menschenrechtsverletzungen immer wieder kritisiert wird. Er entspricht damit allerdings auch ganz den Wünschen der südeuropäischen Länder, den Zustrom von Migranten zu unterbinden. Ziel sei es, dass nach einem fairen Verteilungsverfahren Asylberechtigte direkt in die EU-Staaten gebracht werden – organisiert vom Flüchtlingshilfswerk der Uno (UNHCR) und durchgeführt von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Pläne dazu gibt es seit dem EU-Gipfel in Malta im Februar 2017. Immer wieder legten sich aber vor allem viele osteuropäische Staaten wie etwa Polen, Tschechien oder Ungarn, allesamt Vertreter einer harten, restriktiven Migrationspolitik, dagegen quer. Eine Einigung der europäischen Regierungschefs über die Aufteilung von Flüchtlingen scheint erst dann wieder verhandelbar, wenn die "Festung Europa" dicht ist. (Thomas Mayer, Fabian Sommavilla, Adelheid Wölfl, 20.6.2018)