CSU-Chef Horst Seehofer sucht die Eskalation.

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CSU-Chef Horst Seehofer sucht die Eskalation. Der deutsche Innenminister stellt der Kanzlerin ein Ultimatum. Er will Asylsuchende direkt an der bayrischen Grenze abweisen, sofern sie in einem anderen EU-Staat registriert sind. Angela Merkel lehnt diesen restriktiven Ansatz ab und plädiert für eine EU-Lösung. Zeitgleich streiten sich auch im Süden Europas die Regierungen, wer für in Seenot gerettete Flüchtlinge zuständig ist. Italiens neuer Innenminister Salvini weigerte sich, italienische Häfen für das Rettungsschiff Aquarius zu öffnen. Schlussendlich durften die 629 Migranten des Schiffes in Spanien anlegen.

Zwei Konflikte, bezeichnend für die derzeitige europäische Situation. Die Reform der EU-Asylpolitik ist in einer Sackgasse. Dies betrifft im Speziellen die Frage einer verpflichtenden Verteilung von Asylsuchenden in Europa. Dies war ein Kernstück des Vorschlags der Kommission, wie das Dublin-System reformiert werden sollte. So soll eine geregelte Verteilung von Flüchtlingen von den EU-Grenzländern Italien und Griechenland gewährleistet werden. Von Anfang an war diese Idee umstritten. Die ungarische Regierung von Viktor Orbán und andere Visegrád-Länder stemmten sich vehement gegen Umverteilungspläne. Sie finden mehr und mehr Unterstützung, nicht zuletzt in der österreichischen Regierung und dem deutschen Innenminister. Auch sie befürworten eine Externalisierung des Flüchtlingsschutzes an Drittstaaten, mehr EU-Außengrenzschutz und, falls notwendig, das Dichtmachen der eigenen Binnengrenzen.

Kann dies funktionieren? Kurzfristig ja. Die Zahl der Asylanträge in Europa ist zurzeit niedrig. Die Migrationsfrage bietet sich nach wie vor an, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Da kommen Konflikte in Migrationsfragen mit europäischen Nachbarn gelegen, um das eigene Profil zu schärfen und Härte zu zeigen.

Kettenreaktion

Was aber wird passieren, wenn die Zahl der Asylsuchenden erneut ansteigt? Es ist davon auszugehen, dass spätestens dann eine Kettenreaktion einsetzen wird. Wenn Bayern die Grenzen dichtmacht, wird Österreich, dann Slowenien und die Balkanländer folgen. Asylsuchenden werden in Griechenland und Italien festsitzen. Es ist davon auszugehen, dass diese Länder nicht "kampflos" akzeptieren werden, alleine die Verantwortung für den Asylschutz in Europa zu übernehmen. Sie werden selber den Konflikt mit EU-Partnern suchen. Möglichkeiten gibt es genug: keine Aufnahme von Flüchtlingsbooten, keine Registrierung von Flüchtlingen anhand der Dublin-Regeln, das Durchwinken der Migranten auf ihrem Weg Richtung Norden. Dies wird zu einer weiteren Eskalation führen. Nördliche Mitgliedstaaten werden wohl mehr als oberflächliche Kontrollen an ein paar Autobahngrenzübergängen machen müssen, um ihre Länder tatsächlich dichtzumachen.

Die österreichische Regierung und der deutsche Innenminister spielen mit dem Feuer. Sie setzen voll auf Verlagerung des Flüchtlingsschutzes auf Nicht-EU-Länder. Die Reform des Dublin-Systems und die fairere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas darf aber nicht aus den Augen geraten. Noch ist es nicht zu spät für eine Verhandlungslösung auf EU-Ebene. Aber es braucht Willen zum Kompromiss und europäischer Zusammenarbeit.

Die Migrationsfrage hat das Potenzial, die EU auseinanderzusprengen und den freien Personenverkehr in Europa zu beenden. Auch wenn sich Seehofer, Kurz und Co nicht über die EU-Grenzländer und deren Überforderung in der EU-Asylpolitik Gedanken machen, sollten sie das Eigen-interesse ihrer Länder im Auge behalten. Wenn das Schengen-Abkommen an der Asylfrage zerbricht und es wieder umfassende Kontrollen des Personenverkehrs in Europe gibt, wird dies die Exportmeister Deutschland und Österreich hart treffen. Herr Seehofer sollte Goethes Zauberlehrling im Kopf behalten. Er wäre nicht der Erste, der die Kontrolle über die Geister, die er rief, verliert. (Florian Trauner, 21.6.2018)