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Der neue Premier Abiy Ahmed hat Großes vor.

Foto: AP Photo/Farah Abdi Warsameh

Addis Abeba / Johannesburg – Man nennt ihn den äthiopischen Gorbatschow. Abiy Ahmed, mit 42 Jahren der jüngste Regierungschef Afrikas, schickt sich an, seine versteinerte Heimat umzuwälzen: Erst vor zwei Monaten zum Premier gekürt, reiste Abiy durchs ganze Land, um der Bevölkerung auf den Puls zu fühlen. Dann ließ er Tausende von politischen Gefangenen frei, die während der seit Jahren anhaltenden Unruhen eingesperrt worden waren.

Als Nächstes regte der ehemalige Geheimdienstoffizier die Aufhebung des Notstandsrechts an, und er will mit dem Nachbarn Eritrea endlich Frieden finden. Schließlich will sich der Premier auch an die Umgestaltung des äthiopischen Staatsmonopolismus machen: Viele der großen Staatsunternehmen sollen zumindest teilprivatisiert werden.

"Drastischer Abschied"

Abiys Vorhaben – in Äthiopien werden Personen bei ihrem ersten Namen genannt – kämen einem "drastischen Abschied" von der bisherigen Politik des Staates gleich, sagt Ahmed Soliman, Äthiopienexperte im Londoner Chatham House: "Das alles sind ausnahmslos gute Nachrichten." Auch zu Hause wird der Politiker der schon seit fast drei Jahrzehnten regierenden Äthiopischen Revolutionären Demokratischen Volksfront (EPRDF) allseits gelobt: "Diese Entwicklung ist wirklich ermutigend", sagt Blogger Atnafu Berhane, der wegen seiner Regierungskritik vier Jahre lang im Gefängnis saß.

Die größten Erwartungen löste die Ankündigung Abiys aus, den bereits vor 18 Jahren unterzeichneten Friedensvertrag mit Eritrea endlich umzusetzen. Nachdem befreundete Rebellentruppen der beiden Brudervölker 1991 den Diktator Mengistu Haile Mariam aus dem Amt gejagt hatten und Äthiopien Eritrea 1993 zur Unabhängigkeit verholfen hatte, waren sich beide Regierungen 1998 über den Grenzverlauf in die Haare geraten: Der zweijährige Krieg tötete mehr als 70.000 Menschen.

Rechtfertigung für Repression

Eine internationale Grenzkommission entschied 2002, dass das von Äthiopien besetzte Grenzstädtchen Badme an Eritrea gehen sollte. Addis Abeba hielt sich nicht daran. Und Eritrea nutzte den Kalten Krieg, um die ständige Mobilmachung und Repression im eigenen Land zu rechtfertigen.

Das soll jetzt offenbar anders werden. "Alles, was wir in den vergangenen 20 Jahren erreicht haben, sind Spannungen und Leiden", sagte Abiy bei der Ankündigung seiner Friedensinitiative. "Wir sollten lieber unsere Anstrengungen auf Frieden, Versöhnung und wirtschaftliche Zusammenarbeit richten." Um den Abzug der äthiopischen Truppen vorzubereiten, ließ der Premierminister jetzt den seit 17 Jahren amtierenden Streitkräftechef auswechseln: Er wurde durch Seare Mekonnen ersetzt, der als Eritrea-Spezialist gilt.

Eritrea schweigt

Auch der Posten des Geheimdienstchefs wurde im ersten Revirement seit zwei Jahrzehnten neu besetzt: Adem Mohammed gehört dem Volk der Amhara an, die sich wie die Omoro – zu denen Abiy zählt – von dem an den Schaltstellen der Macht sitzenden Minderheitenvolk der Tigreer an den Rand gedrängt fühlten. Wie Eritrea mit dem historischen Richtungswechsel in Addis Abeba umgehen wird, steht bislang nicht fest: Noch schweigt die Diktatur in Asmara.

Nicht weniger wichtig als die Verständigung mit Eritrea sind die angekündigten wirtschaftlichen Reformen: Äthiopien zählt zwar noch immer zu den am schnellsten wachsenden Ökonomien Afrikas, doch wegen der hohen Investitionen in die Infrastruktur leidet das Land unter chronischer Devisenknappheit. Der Teilverkauf von Staatsunternehmen soll nun die notwendigen Dollar bringen. Damit sei es allerdings nicht getan, warnen Wirtschaftsexperten: Äthiopien müsste aus seinem staatsgelenkten Tiefschlaf schon gründlicher erwachen. (Johannes Dieterich, 22.6.2018)