Nach nur zwei Festwochen-Ausgaben gab Leiter Tomas Zierhofer-Kin am Dienstag überraschend seinen vorzeitigen Rückzug bekannt. "Trotz vieler künstlerischer Erfolge und der gelungenen Bemühungen, ein für die Festwochen neues Publikum zu gewinnen", sei er auf "keine breitere Resonanz gestoßen", ließ er in einer offiziellen Aussendung verlautbaren.

Auf seiner privaten Facebook-Seite formulierte er es weniger diplomatisch: Er, Zierhofer, freue sich, dass "dieses unqualifizierte Kritiker-(bewusst ungegendert-) Blabla mir jetzt nun auch offiziell sowas von am Oasch vorbeigehen kann". Dazu postete der 49-Jährige die Kritik einer Tageszeitung.

Nach Tomas Zierhofer-Kin ist die Intendanz der Wiener Festwochen wieder vakant. Neokulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) entscheidet über die Nachbesetzung.
Foto: APA; Collage: Standard

Kuratorin Marlene Engel, die Hyperreality, das Festivalformat für elektronische Clubmusik, verantwortete, formulierte es trockener: "Ich verstehe die viele harte Kritik auch heuer nicht und finde einige der Reviews über diesjährige Festwochen-Produktionen so wenig qualifiziert, dass es fast peinlich ist (für die Autoren). Bei der wichtigen 'Kritik' fehlt mir die wirkliche Auseinandersetzung oft."

"Konservative Presse"

Die Jahre vor Zierhofer-Kin hätten sich programmatisch "eher an eine konservative Elite gerichtet" und seien "nie solchen Allgemein-Verrissen ausgesetzt" gewesen: "Hier gibt meiner Meinung nach eine konservative Presse den Ton für ein offenes, cooles, interessiertes Publikum vor." Die Veranstaltungen für elektronische Musik – ein Steckenpferd Zierhofers – seien jedenfalls gut besucht gewesen.

Tatsächlich scheint die elektronische Frischzellenkur in der Musiksparte auch für die Zukunft bewahrenswert. Ob das wirklich zulasten der Klassik passieren darf, wird zu hinterfragen sein.

Am Donnerstag legten die Festwochen-Verantwortlichen ihre Bilanz in Zahlen vor: Gezeigt wurden insgesamt 34 Produktionen (darunter vier Uraufführungen, zehn Koproduktionen und zwei für Wien adaptierte Neuversionen). 101.044 Besucher zählte man in Summe. Das Publikum bei freien Eintritten ist da mit eingerechnet. Für jene 24 Produktionen mit Eintritt wurden 35.121 Karten aufgelegt, von denen 29.844 ausgegeben wurden. Die Festwochen erreichten damit eine Auslastungszahl von 87,2 Prozent.

Zahlen kaum verändert

Was heißt das im Vergleich? Seine Einstandsausgabe von 2017 konnte Zierhofer-Kin nicht übertreffen: Hier hatte man noch 128.630 Gäste gezählt. Die Auslastung konnte man – auch dank einer geringeren Zahl an Veranstaltungen – von 82,51 auf 87,2 Prozent leicht steigern.

Intendantenvorgänger Markus Hinterhäuser, mit dem Zierhofer einst gemeinsam bei den Festwochen engagiert war (siehe auch Artikel unten), hüllte die Auslastungszahlen in seinem letzten Jahr (2016) in Nebel. 2014 wurde eine Gesamtbesucherzahl von 155.318 und eine Auslastung von 95,3 Prozent angegeben. Sowohl 2014 als auch 2015 waren 52.000 Kaufkarten, und damit wesentlich mehr als unter Zierhofer-Kin, ausgegeben worden.

Unterm Strich heißt das, dass das konventionellere Programm Hinterhäusers mehr Zuspruch gefunden hatte. Veronica Kaup-Hasler, erst seit wenigen Wochen SPÖ-Kulturstadträtin, wird mit tänzerischer Gewandtheit zwischen Tradition und Neuerung vermitteln müssen. Der Spagat, Junge wie Ältere gleichermaßen anzusprechen, will geübt sein. (Stefan Weiss, 21.6.2018)

Deep Friday #1.
Foto: Inés Bacher

Was sollen die Wiener Festwochen eigentlich leisten? Die STANDARD-Kulturredaktion hätte Vorschläge

Produzentenfreuden

Lange genug verstanden sich die Wiener Festwochen vor allem als Importfirma für theatralische Genussmittel. Daran ist in Wahrheit nichts zu bemäkeln. Dass Genuss und Belehrung die beiden Seiten ein- und derselben Medaille darstellen, kann man u. a. bei Bertolt Brecht nachlesen.

Aus weniger einsichtigen Gründen plagen sich die Bewohner der Kulturstadt Wien von jeher mit widerstreitenden Gefühlen herum. Sie verbieten sich Belehrungen von außen, zeigen sich jedoch notorisch unzufrieden mit dem einheimischen Tagesangebot.

Es wäre somit hoch an der Zeit, dem Betrieb und seinen angeblichen Zwängen ein Schnippchen zu schlagen. Die Festwochen müssen verstärkt als Produzent auftreten, als langmütiger Gast- und Quartiergeber für Luftkutscher und Windmacher. Die Barrieren zwischen den verschiedenen Sparten kann man getrost niederreißen. Für die eine oder andere Einladung einer Christoph-Marthaler-Produktion sollte man halt genug Geld in der Hinterhand behalten. (poh)

Qualität und Klugheit

Hinsichtlich zeitgenössischer Performance und Choreografie hat Tomas Zierhofer-Kin einiges richtig gemacht: mit Arbeiten von Gisèle Vienne, El Conde de Torrefiel, Boris Charmatz oder Superamas. Wichtig für die Zukunft des Festivals wird sein, sich nicht in greise Kunsthierarchien zu retten – wie Theater über Tanz, Oper versus Performance – oder das künstlerische Experiment hintanzustellen. Im Gegenteil. Das Publikum will die Abenteuer, Überraschungen und Widersprüche einer zeitgenössischen Kunst, die ihm neue Welten eröffnet – sofern die künstlerische Qualität stimmt.

Die Festwochen sollten das Spektrum auch der Performance neu und weiter denn je öffnen. Das ist ein herrlich unübersichtliches Feld, in das Tanz, Musik, Medien- und bildende Kunst hineinspielen und ineinanderfließen. Gerade ein breit angelegtes Festival kann über die Performance Verbindungen zu Tradiertem herstellen. Und klügere Veranstaltungen zum Nachdenken über Kunst initiieren als bisher. (ploe)

Zeichen der Moderne

Der historische Blick auf die Festwochen offenbart Interessantes. Neben dem Konzertprogramm, das wechselweise von Konzerthaus und Musikverein ausgerichtet wurde, gab es Moderneschwerpunkte. Ab 2002 waren dafür Talente verantwortlich, die mit dem Zeitfluss-Festival zuvor die Salzburger Festspiele bereichert hatten: Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin. Ihr Bereich hieß Zeitzone, und bei dem nun geplanten Neubeginn der Festwochen darf getrost konzeptuell Ähnliches erwogen werden. Kleine markante Konzertinseln abseits der Klassik hatten das Programm immer belebt.

Falls aber Musik wieder als Kooperation mit den großen Häusern passiert, täte eine inhaltliche Gebundenheit an die jeweiligen Grundthemen der Festwochen not. Was Oper anbelangt, existiert kein Zwang zu traditioneller Größe. Statt Riesenproduktionen zu stemmen, würde eine Neubefragungen des Begriffs Musiktheater in Form mehrerer kleinerer Projekte dem Festival ein lebendiges Gepräge verleihen. (tos)

Urbane Leuchtfeuer

Was ist eigentlich mit dem Platz neben der Staatsoper? Ein Spritzer Subversion, ein Klecks Irritation täte schon noch in die Selfiestickkulisse passen. So ein leichter Schubser an frequentierten öffentlichen Plätzen, der Flaneure und Programmverantwortliche aus der bauchwehfreien Komfortzone befördert, wäre den Festwochen zumutbar. Man wagt ja gar nicht, davon zu träumen, dass der Boulevard schäumt, vielleicht sogar klagt, Kulturstadträte von rechts mit Misstrauensantrags-Vorhaben beschossen werden und der Groll über die "linke Kulturschickeria" den Volksfreunden aus allen Poren dampft. Das alles war 2000. Aber Christoph Schlingensiefs Ausländer Raus-Container bleibt wohl einmalig.

Die bildende Kunst war in vielen Jahren eher Mitläufer, irgendwo ins Ausgedinge von zwischengenutzten Gebäuden geschickt, mager dotiert oder in die Rolle des Ennui vertreibenden Spielortaufputzes gedrängt. Eingriffe mit Signalwirkung und Potenzial zur Störung, das braucht es. (kafe)