Kommissionspräsident Jean-Claude Jucker (li.) und Angela Merkel planten den Minigipfel. EU-Ratspräsident Donald Tusk blieb skeptisch.

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Am Sonntag, 14 Uhr sollte der Sondergipfel "interessierter Staaten" im Gebäude der EU-Kommission in Brüssel beginnen. Nach etwa vier Stunden intensiver Arbeit müsste dann weißer Rauch aufsteigen. Und die Regierungschefs von sieben Mitgliedsstaaten würden erhebliche Fortschritte im Kampf gegen die "Sekundärmigration" von Asylwerbern quer durch Europa und bei deren Rückschiebung verkünden.

Der Schutz der EU-Außengrenzen und die Verstärkung der Frontex-Behörde würden beschleunigt werden, forciert von Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Griechenland, Bulgarien und Deutschland mit Kanzlerin Angela Merkel, die das alles angestoßen hat.

Einige EU-Staaten fühlten sich hereingelegt

So hatte die Regie rund um Kommissionschef Jean-Claude Juncker sich das vorgestellt, als am Mittwoch überraschend die Einberufung zu diesem informellen Treffen publik geworden war. Keine 24 Stunden später hatte sich die Lage nicht nur völlig geändert, einige EU-Staaten fühlten sich durch das Vorgehen weniger Eingeweihter, die eigentlich nur den innerdeutschen Koalitionsstreit schlichten wollten, sogar geradezu hereingelegt. Sie schalteten auf stur.

Zunächst protestierten die Niederlande und Belgien dagegen, dass sie gar nicht erst eingeladen worden waren, was dann nachträglich erfolgte. Dann ließ die Regierung in Italien wissen, dass sie den "Minigipfel" boykottieren werde, auch wenn der Premierminister nach Brüssel reise. Malta, bei der illegalen Migration im Mittelmeer an vorderster Front, reklamierte sich hingegen hinein.

Aber beim Treffen der Premiers der vier Visegrád-Staaten Slowakei, Ungarn, Tschechien und Polen in Budapest am Donnerstag, an dem auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) teilnahm, machten diese deutlich, dass sie die Ergebnisse des Migrationsgipfels nicht akzeptieren. Die Premiers der V4 wollen dem Minigipfel ebenfalls fernbleiben.

Brüssel verursacht Wirbel

Auslöser des neuen Tohuwabohus war die Kommission selbst. Sie präsentierte vorab einen Entwurf eines umfassenden Maßnahmenpakets, in dem die vom bayerischen Innenminister Horst Seehofer verlangten Sofortmaßnahmen zur Rückführung unberechtigter Asylwerber nur sehr allgemein beschrieben sind. Gleichzeitig wird neuerlich ein Verteilungsmechanismus in Bezug auf die EU-Staaten angesprochen, der seit 2015 zu großen Differenzen geführt hatte. Mehrere Staaten machten in den Vorgesprächen auf Expertenebene klar, dass damit eine Einigung – auch beim regulären EU-Gipfel der EU-28 am nächsten Donnerstag – unwahrscheinlich ist.

Das Papier liegt dem STANDARD vor. Die Kommission greift darin die Forderung auf, den Schutz der EU-Außengrenze von 2027 vorzuziehen. Schon 2020 sollen Tausende das Mittelmeer gegen illegale Migration absichern. Generell will Juncker die Regeln und Bedingungen für Asylwerber und illegale Migranten verschärfen. Es sei "entscheidend, weiterhin die illegale Migration nach Europa zu reduzieren, ebenso wie die Sekundärbewegungen innerhalb der EU". Asylwerber hätten kein Recht, sich ein Land ihrer Wahl auszusuchen, sie müssten mit schärferen Kontrollen rechnen.

Kommissionsvorschlag zurückgezogen

Die von einigen Staaten geforderte Einrichtung von "Aufnahmezentren" für Asylwerber außerhalb des Unionsgebiets, die von EU-Ratspräsident Donald Tusk stark unterstützt wird, wird von der Kommission nur sachte angesprochen. Man wolle das organisieren, in Libyen sollen das UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterstützt werden.

Nach italienischem Vorbild soll die Kooperation mit der libyschen Küstenwache ausgebaut werden, um die Überfahrten Richtung Europa zu unterbinden. Diese Maßnahme, wie auch verstärkte Zusammenarbeit mit fünf afrikanischen Transitländern, war allerdings schon Anfang 2017 vereinbart worden. Der Kommissionsentwurf werde "nicht halten", sagten involvierte Experten. Rom meldete Donnerstagnachmittag, der Vorschlag sei zurückgezogen worden. (Thomas Mayer, 21.6.2018)