Bundeskanzler Kurz empfing am Freitag den EU-Ratspräsidenten Tusk.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Bild nicht mehr verfügbar.

Migranten nach ihrer Rettung durch die italienische Küstenwache.

Foto: Orietta Scardino/ANSA via AP

Paris/Wien – Kurz vor dem Brüsseler Krisentreffen zur Migrationspolitik hat der französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux vor einem Zerfall Europas gewarnt. Europa erlebe wohl eine seiner schlimmsten Krisen, sagte Griveaux am Freitag dem Sender Radio Classique.

"Falls Europa unfähig ist, sich auf ein gemeinsames Migrationskonzept zu einigen und daran zu arbeiten, fürchte ich unglücklicherweise, dass es sich endgültig auflöst", sagte Griveaux. Die Migrationsfrage werde auch bei der Europawahl im kommenden Jahr eine zentrale Rolle spielen.

Visegrád-Staaten boykottieren Treffen

Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat für Sonntag zu dem Migrationstreffen auf Spitzenebene eingeladen, dazu wird auch Frankreich erwartet. Die Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) teilten bereits mit, dass sie dem Treffen aus Protest fernbleiben werden.

Kurz betont "Führungsrolle" von Tusk

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird teilnehmen, betonte aber am Freitag bei einem Treffen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk dessen Führungsrolle. "Er hat die Führung im Europäischen Rat, er ist derjenige, der mit uns zusammenarbeitet, um die Außengrenzen der Europäischen Union zu schützen", sagte Kurz zu Beginn eines Treffens mit Tusk am Freitag in Wien. Tusk, der den Vorsitz beim regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag führt, war auf Distanz zu dem Migrationsgipfel gegangen.

Das von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausgerichtete Treffen kommt auf Initiative der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zustande, die innenpolitisch unter massivem Druck steht, eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise zustande zu bringen. Kurz nimmt an dem Treffen teil, hat sich aber zurückhaltend zu den Einigungschancen geäußert.

Tusk ließ anklingen, dass er den ÖVP-Chef zu dessen Achsenbildungsaktivitäten innerhalb Europas befragen will. "Ich möchte seine Meinung über seine Kooperation mit anderen Staaten hören, mit seinen Freunden der Visegrád-Gruppe." Kurz hatte am Donnerstag am Treffen der Visegrád-Staaten in Budapest teilgenommen.

Tusk: Priorität ist Schutz der Außengrenze

Der polnische Ex-Premier zeigte sich erfreut, dass sich ein "gemeinsames Denken" über die Flüchtlingspolitik entwickle. "Das ist zumindest unsere Hoffnung", sagte er auf die Frage, ob er sich vom nächsten Gipfel eine Lösung erwarte. "Die wahre Priorität für uns ist es, unsere Außengrenzen zu schützen. Das ist die erste Bedingung, um das Problem der Migration zu lösen."

Kurz wies darauf hin, dass Tusk nach Wien gekommen sei, "um die österreichische Ratspräsidentschaft vorzubereiten". Am Sonntag kommender Woche übernimmt Österreich für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Wichtigstes Thema ist dabei die Migrationspolitik, zu der Österreich am 20. September einen informellen EU-Gipfel in Salzburg veranstalten will. Kurz erwartet sich "spätestens" dabei Fortschritte in der europäischen Migrationspolitik, während er hinter den Kulissen schon eifrig an der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Regierungen zimmert, etwa bei der Errichtung von Asylzentren außerhalb der EU. Die bayerische CSU, die neue italienische Regierung sowie die Visegrád-Staaten erwarten sich von Österreich einen Kurswechsel in der Migrationspolitik.

Merkel dämpft Erwartungen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Erwartungen an das Treffen in Brüssel gedämpft. "Es handelt sich in Brüssel um ein Beratungs- und Arbeitstreffen, bei dem es keine Abschlusserklärung geben wird", sagte Merkel am Freitag während eines Arbeitsbesuchs in Beirut. Es sei klar, dass auf dem EU-Gipfel am 28. und 29. Juni nicht das gesamte Migrationspaket beschlossen werden könne. "Deshalb geht es am Sonntag darum, für besonders betroffene Mitgliedstaaten über alle Fragen der Migration ... zu sprechen." Dies betreffe etwa die Frage ankommender Flüchtlinge in der EU, woran Länder wie Italien besonders interessiert sind. Zudem gehe es um die sogenannten Sekundärmigration, also die Bewegung von Flüchtlingen innerhalb des Schengenraums.

Dies betrifft besonders Deutschland, weil viele in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Nach Sonntag werde man schauen, "ob man bi-, tri- oder sogar multilaterale Absprachen treffen kann, um bestimmte Probleme besser zu lösen", sagte Merkel.

Erstes großes Ratsvorsitztreffen in Wien

Gut eine Woche vor dem offiziellen Beginn des EU-Ratsvorsitzes betätigt sich Österreich bereits als Gastgeber für Spitzenvertreter der 28 EU-Staaten. Staatssekretäre und Generalsekretäre der Außenministerien sind am Donnerstag und Freitag zu einem informellen Treffen im Austria Center Vienna zusammengekommen, in dem auch die großen Wiener Ratsvorsitztreffen stattfinden werden.

Das Treffen findet unter Vorsitz von Außenamts-Generalsekretär Johannes Peterlik und der Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Diensts, Helga Schmid, statt. Dabei werden die außenpolitischen Schwerpunkte des EU-Ratsvorsitzes vorgestellt und das Thema "Konnektivität mit Asien" diskutiert, wozu die EU-Kommission derzeit eine Strategie ausarbeite. Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) will früheren Aussagen zufolge einen größeren Schwerpunkt auf die Beziehungen Österreichs und der EU zu Asien legen. (APA, dpa 22.6.2018)