Bild nicht mehr verfügbar.

Thomas Müller: "Das ist wenig hilfreich."

Foto: REUTERS/Hannah McKay

Sotschi – Die deutsche Nationalmannschaft, weiß Thomas Müller, "bewegt ganz Deutschland". Beim Sommermärchen 2006 tanzten Millionen Fans in Schwarz-Rot-Gold auf den Straßen, vor vier Jahren feierten Hunderttausende die Rio-Helden am Brandenburger Tor. Dieselben Spieler werden jetzt, vor dem wegweisenden WM-Gruppenspiel am Samstag (20 Uhr, ORF 1) gegen Schweden als tote Frösche, satte Millionäre, Vaterlandsverräter und Nestbeschmutzer verunglimpft.

"Es ist in Deutschland schon immer so"

"Das ist wenig hilfreich", sagt Müller, der darin ein typisch deutsches Phänomen sieht. "Es ist in Deutschland schon immer so. Ich habe selten in einer Mannschaft gespielt, wo ich das Gefühl hatte, man wird gepusht, man wird unterstützt." Die Mannschaft habe mit der Niederlage gegen Mexiko (0:1) "Angriffsfläche geliefert", für Shitstorms und bösartige Expertenkommentare hat Müller aber kein Verständnis.

In den sozialen Medien kocht die Seele hoch, als hätte es die Trauer um Robert Enke und die Debatte über die Aussagen zu übermenschlichem Druck von Per Mertesacker nie gegeben. "Wir sind sehr selbstkritisch und wollen nichts mehr als den Erfolg", sagt Müller, aber: "Ich würde mir wünschen, weniger ins Persönliche zu gehen."

Klagen über Häme

DFB-Direktor Oliver Bierhoff beklagt Aussagen "unter der Gürtellinie wie bei Mesut Özil oder anderen Spielern, die sich um Deutschland verdient gemacht haben". Eine harte, kritische Bewertung sei völlig in Ordnung, aber sie dürfe "nicht zu sehr in Häme gehen".

Wie schwierig der Umgang mit Spott und Druck auch für erfahrene Spieler ist, erklärt Teampsychologe Hans-Dieter Hermann. "An den Stress, öffentlich zu leisten und sofort öffentlich bewertet und im negativen Fall bloßgestellt oder komplett infrage gestellt zu werden, gewöhnt sich kein Mensch", sagt er. Den vielfach geäußerten Einwurf, auch der Raumpfleger oder der Handwerker müsse Leistung bringen, weist er zurück: "Öffentliches Leisten ist viel schwieriger als privates Leisten."

Kritik ist "immer extremer geworden"

Die Art der Kritik sei "in den letzten Jahren immer extremer geworden", sagt Mats Hummels, "auch bedingt durch Social Media." Hummels wurde nach seiner sachlichen Fehleranalyse nach dem Mexiko-Spiel angefeindet. Jetzt hat er "keine Lust mehr, für inhaltliche Aussagen so in die Kritik zu kommen". Künftig will er es "oberflächlich belassen".

Hermann kennt andere Lösungen. Er rät den Stars zu einer "zweiten Identität", etwa als Familienvater. Auch eine "Gegenwelt" helfe, wie sie Miroslav Klose einst im Angeln gefunden habe. Solche "Orte des Rückzugs" aber gebe es kaum mehr: "Das macht den Stress aus, und in Verbindung mit der hohen körperlichen Beanspruchung ist das auf Dauer nur schwer zu packen. Da müssen Sie wahnsinnig stabil sein."

"Best neVer rests"

Dazu komme die im Leistungssport immanente "Prämisse des immer mehr und trotzdem immer besser". Der DFB bedient diese mit seinem WM-Motto "Best neVer rests" noch.

Den wankenden Weltmeistern komme zugute, dass Joachim Löw Druck nie weitergebe, sagt Hermann. Das sei "enorm wichtig in zugespitzten sportlichen Situationen" – wie in Sotschi gegen Schweden. (sid, 22.6.2018)