Tübingen – Eis verhält sich unter bestimmten Umständen so ähnlich wie eine sehr zähe Flüssigkeit – diese hochviskose Eigenschaft hat auch Einfluss auf die Bewegungen der polaren Eisschilde: Sie fließen gleichsam unter der Last ihres eigenen Gewichts Richtung Ozean. Um künftige Schwankungen des Meeresspiegels insbesondere unter veränderten Klimabedingungen vorhersagen zu können, ist es wichtig, die Fließgeschwindigkeit des Eises möglichst genau zu bestimmen.

Weicher als gedacht

Dazu haben nun Forscher um Paul Bons und Ilka Weikusat von der Universität Tübingen gemeinsam mit Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, der University of Otago (Neuseeland) und der Autonomen Universität Barcelona (Spanien) entsprechende Untersuchungen am grönländischen Eisschild durchgeführt. Das in den "Geophysical Research Letters" präsentierte Ergebnis: Das Polareis ist offenbar weicher als bisher angenommen. Dies ist auch relevant für Modelle zur Entwicklung des Meeresspiegels.

Der Eisfluss, also der Eistransport Richtung Ozean, unterliegt hauptsächlich zwei Einflussfaktoren: Zum einen folgt er der internen Verformung des gesamten Eiskörpers, die allein von der Viskosität oder Zähflüssigkeit des Eises an sich abhängt; zum zweiten dem Gleiten der Eisdecke über den Felsuntergrund, insbesondere wenn die Eisbasis schmilzt. In ihrer Studie nutzten die Wissenschafter Daten aus Satellitenbeobachtungen, die die Oberflächengeschwindigkeit des nordgrönländischen Eisschildes beschreiben. Daraus berechneten sie die Spannungen, die den Eisfluss verursachen. Dabei wurde klar, dass das Eis effektiv weicher ist als gewöhnlich angenommen.

Überschätzte basale Schmelze

Frühere Studien wiesen darauf hin, dass der grönländische Eisschild auf bis zu 50 Prozent seiner Fläche an der Basis schmelzen könnte. "Unsere neue Studie zeigt, dass das Ausmaß der basalen Schmelze vermutlich stark überschätzt wurde. In bisherigen Arbeiten wurde Eis als härter eingeschätzt, als es tatsächlich ist", sagt Bons.

Die Neubewertung der Eigenschaften des Eises verringere die Fläche deutlich, auf der die Eisdecke an ihrer Unterseite geschmolzen sein muss. "Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass das Eis den Ozean langsamer erreicht und der Meeresspiegel weniger schnell steigt. Vielmehr müssen wir nun die interne Deformation der Eisdecke als weitaus bedeutender für den Eisfluss bewerten als bislang angenommen", erklärt Weikusat. Die neuen Resultate sollten in Modelle zur Vorhersage der Entwicklung des Meeresspiegels einfließen.

Welchen Anteil jeweils die interne Scherung und das basale Gleiten am Transport des Eises haben, lässt sich nicht allein aus den Oberflächendaten bestimmen. Darüber sollen Tiefenbohrungen in das schnell fließende Eis Aufschluss geben, wie sie aktuell im EastGRIP-Projekt durchgeführt werden. (red, 25.6.2018)