Der Papa richtet alles: Tayyip Erdoğan spricht bei der Hochzeit seiner jüngsten Tochter Sümeyye im Mai 2016 mit Selçuk Bayraktar, dem Sohn eines Rüstungsunternehmers. Erdoğans Frau Emine (Zweite von rechts) hört zu.
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Er wuchs in einer Zweizimmerwohnung auf. Drei Geschwister, ein Cousin, die Eltern, und unten auf der Gasse das harte Pflaster von Kasimpasa, dem Istanbuler Arbeiter- und Immigrantenviertel am Goldenen Horn. Jetzt sitzt Tayyip Erdoğan in seinem 1000-Zimmer-Palast in Ankara, seiner osmanischen Traumfabrik mit Vorkostern und Wachsoldaten in Historienkostümen. Doch auch im Jahr 16 seiner autoritär gewordenen Herrschaft, nach überstandenem Korruptionsskandal und Putschversuch, ist im Grund alles beim Alten geblieben. Die Türkei des Tayyip Erdoğan ist ein Familienbetrieb.

Ihren Hang zu Luxus und Bling-Bling haben die Erdoğans nie verheimlicht. Reichtum zeigt man eben. Denn ein Familienvater, der nicht imstande ist, für die Seinen zu sorgen, gilt in der Türkei bestenfalls als unbeholfen.

Lange Zeit lebten die Erdogans so der neuen frommen Mittelklasse im Land den Materialismus vor. Spätestens mit der Palastanlage aber, die sich Erdogan in Ankara für seine neue Zeit als Präsident bauen ließ, verfängt das Credo "Bereichert euch, vermehrt euch!" nicht mehr bei allen Erdoğan-Wählern.

Biokost und weißer Tee

Kritik ist selbst im religiösen Lager laut geworden. Ein wohlgemeintes Porträt in einer islamistischen Tageszeitung über Emine Erdogan, das neue Palastleben und ihre Vorliebe für Biokost löst empörte Reaktionen aus: Madame bevorzugt etwa weißen Tee, eine wenig fermentierte Sorte, deren Kilopreis bei 400 Euro liegen kann. Das Eineinhalbfache des Mindestlohns in der Türkei. Es ist der Stoff, der Herrscherträume zum Platzen bringt.

Vielleicht rüstet sich die Familie nun für diesen Moment: Emine Erdoğan, die Söhne Bilal und Burak, die Töchter Esra und Sümeyye mit ihren wohlplatzierten Ehemännern. Dann Mustafa, der jüngere Bruder des Präsidenten, und Schwager Ziya Ilgen. Das sind die Erdoğans. Schutzschild und Handlanger für den mächtigsten Mann der Türkei, und immer zur Stelle.

So war es auch an dem Juli-Abend vor zwei Jahren, als Panzer zur Bosporus-Brücke in Istanbul rollten. Schwager Ziya rief den Präsidenten an und warnte ihn. Vom Putsch will Erdoğan erst von seinem engen Verwandten erfahren haben, so erzählte er es später im Fernsehen. Der Leiter des Geheimdiensts war ja abgetaucht, der Armeechef entführt.

Sichtbar und zugleich tabu

Was die Öffentlichkeit sonst über die Erdoğans wissen darf, wird von regierungstreuen Medien erst gewissenhaft poliert. Nur wenig Privates gelang freiwillig nach außen in den bisher drei Jahrzehnten von Erdoğans Karriere als Istanbuler Bürgermeister, Regierungschef und Staatspräsident. Die Familie ist sichtbar und zugleich tabu. Wer sie anrührt, den verfolgt Erdoğan mit seinen Zorn.

Manchmal nur gewährt der Zufall einen Einblick in das aufreibende Innenleben der Erdoğans und ihre Furcht vor dem Sturz. So steht Berat Albayrak, der Schwiegersohn und Energieminister, am Abend des Volksentscheids über die neue Verfassung, einem Sonntag im April 2017, in einer Halle des Präsidentenpalasts, zusammen mit Journalisten und Kameraleuten, und wartet auf den Staatschef.

Albayrak verschränkt die Arme, bläst Luft aus seinen Backen, rollt nervös die Augen. Der ehrgeizige Schwiegersohn, der bereits als Erdoğans Nachfolger gehandelt wird, fühlt sich unbeobachtet. Es ist ein Zustand zwischen Panik und Erlösung.

Berat Albayrak, der ehrgeizige Schwiegersohn des türkischen Präsidenten.
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51,41 Prozent lautet das offizielle Ergebnis an jenem Abend. Sehr viel knapper als gedacht und wohl nur mithilfe der Wahlbehörde, die Regeln änderte, noch während die Stimmabgabe lief, bekommt Erdoğan seine Präsidialverfassung. Es ist das Ticket für zwei, vielleicht gar drei Amtszeiten, für zehn, möglicherweise 15 weitere Jahre an der Macht. Die Familie kann aufatmen. Bis zur nächsten Wahl an diesem Wochenende. Schon wieder sieht es eng aus.

Die Erdoğans sind alles in einem: politischer Machtclan, Luxusklub, Business-Partie und muslimisches Familienmodell. Die Männer tragen Vollbart nach Manier der Helden in den osmanischen Historienserien im türkischen Fernsehen; die Damen Kopftuch, nicht alle freiwillig.

Emine Erdoğan war als Mädchen von ihrem Bruder dazu gezwungen worden, wie sie später bekannte. Das Kopftuch der First Lady ist über die Jahre zu einem helmartigen Überwurf geworden, ein Designerprodukt als Statement für die Frauen in der islamischen Welt. Seid stolz auf das Kopftuch, soll es heißen.

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Emine Erdoğan trägt wie alle Frauen der Familie Kopftuch.
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Ab und an lässt sich Tayyip Erdoğan mit seinen Enkeln zeigen. Er ist gern Opa. "Mein heutiger Mitarbeiter" steht in einem Tweet, den er im Sommer vergangenen Jahres von seiner Twitter-Adresse sandte, mitten in der Welle von Beamtenentlassungen und Verhaftungen nach dem vereitelten Putsch.

Ömer Tayyip, der neunjährige Sohn von Bilal und dessen Frau Reyyan, beugt sich über die Schulter des Präsidenten, der am Schreibtisch arbeitet, und deutet auf ein Dokument. Beide tragen weiße Hemden. Sechs Enkel hat Erdoğan mittlerweile. Nur die Ehe seines ältesten Sohns Burak ist bisher kinderlos.

Die Rollen der Familienmitglieder hat der Chef im Lauf der Jahre verteilt. Den politischen Part übernehmen Bilal, der 37 Jahre alte, jüngste Sohn des Präsidenten, Sümeyye, die 32-jährige jüngste Tochter, und Berat Albayrak, der Minister und Ehemann von Erdoğans ältester Tochter Esra. Albayrak ist 40, war bereits Manager der Çalik-Holding, einer der größten türkischen Unternehmensgruppen, soll am Ölexport der Terrormiliz "Islamischer Staat" aus Syrien mitverdient haben und tritt nun bei dieser Wahl als erstgereihter Kandidat von Erdoğans Partei AKP in Istanbul an.

Sümeyye gegen Berat

Bilal und Sümeyye sind als Führungsmitglieder islamischer Stiftungen und Vereine regelmäßig in der Öffentlichkeit. Bilal leitet die Jugend- und Bildungsstiftung Türgev, die etwa den Ausbau der religiösen Imam-Hatip-Schulen in der Türkei vorantreiben soll. Laut Organigramm ist Bilal nur ein Mitglied der Generalversammlung der Stiftung, seine ältere Schwester Esra hingegen im Vorstand.

Bilal Erdogan, der nette und loyale Sohn.
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Bilal ist der nette, loyale Sohn. Sümeyye aber, die zeitweise auch als Beraterin ihres Vaters arbeitete, soll die Härte und den politischen Instinkt Erdogans geerbt haben. Sümeyye gegen Berat könnte die Schlachtordnung im Hause Erdogan heißen, wenn die Zeit des Niedergangs und der Nachfolge kommt.

Im Vorstand von Vereinen wie Kadem und Neyad wirbt Sümeyye für selbstbewusste Musliminnen, für türkische Frauen, die Managerpositionen übernehmen und gesellschaftlich engagiert sind.

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Sümeyye, Erdoğans Tochter, soll den politischen Instinkt ihres Vaters geerbt haben.
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Die Geschäftsinteressen des Präsidenten vertreten Ziya Ilgen, Erdoğans Schwager und der Ehemann von Vesile, der Schwester des Präsidenten, sowie Mustafa Erdoğan, sein jüngerer Bruder.

Diesen Schluss lassen nicht zuletzt die Enthüllungen über Offshore-Strukturen in den Malta Papers und den Paradise Papers 2017 zu, so urteilen die noch verbliebenen regierungskritischen türkischen Medien. Demnach gehört der Erdoğan-Familie unter anderem der Öltanker Agdash, ein fast 25 Millionen Dollar teures Schiff; dieser Tage war es in der Ostsee unterwegs.

Drohnen für den Schwiegervater

Schwager Ziya und Bruder Mustafa sollen die Offshore-Unternehmen vor zehn Jahren gegründet haben. Auch die anderen Familienmitglieder haben Geschäfte laufen: Bilal sollen mindestens vier Restaurants in Istanbul gehören, Mutter Emine hielt zeitweise Mehrheitsanteile in der privaten türkischen Krankenhauskette Medical Park – was stets dementiert wurde. Sümeyye wiederum ist seit 2016 mit dem Sohn eines Rüstungsunternehmers verheiratet. Selçuk Bayraktar, der junge Ingenieur, baut selbst Drohnen in der Firma seines Vaters. Er kann sich auf Staatsaufträge für Erdogans Krieg in Syrien und im Irak verlassen.

Stützen und gestützt werden: Ein Hof braucht seinen Hofstaat und ein Herrscher seine Familie. Als das Netzwerk der Gülen-Bewegung im Dezember 2013 auf Bilal losgeht, sieht Erdoğan rot. Er schlägt die Korruptionsermittlungen gegen seinen Sohn nieder und beginnt den Feldzug gegen die Gülenisten im Staat, der bis heute andauert. Mitschnitte von Telefongesprächen tauchten damals auf. "Babam" und "oglum" nennen sich Erdoğan und Bilal vertrauensvoll, "mein Vater" und "mein Sohn". Wie in jeder anderen türkischen Familie auch. (Markus Bernath, 23.6.2018)