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Ob Erdogan gleich in der ersten Runde über 50 Prozent kommt oder aber in eine Stichwahl zwei Wochen später muss, könnte am Sonntag rasch feststehen.

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Er ist nervös, keine Frage. Der Präsident spricht erstmals über Koalitionen mit der Opposition nach der Wahl an diesem Sonntag. Die Türken trauen ihren Ohren nicht. Doch auch Tayyip Erdogan kann nicht länger über den möglichen Verlust der Mehrheit im Parlament hinweg sehen. Er lässt sich zur Baustelle des neuen Flughafens in Istanbul fliegen und arrangiert die Landung seiner Maschine so, dass alle Sender von der letzten Großkundgebung seines Gegners Muharrem Ince wegschalten. Ein leicht durchschaubarer Trick.

Und Erdogan rückt kurz vor der Abstimmung mit einem Schaubild heraus, das endlich zeigen soll, wie denn dieses Präsidial regime organisiert wird, das er so sehr wollte und das nach der Präsidenten- und Parlamentswahl am Sonntag offiziell in Kraft tritt.

Strahlende Sonne

Es sieht aus wie eine Art Planetensystem: in der Mitte eine strahlende rote Sonne – das Siegel des türkischen Präsidenten –, darum kreisend 16 Minister, ein Dutzend neuer Behörden und, ganz nah an der Sonne, Stabschef, Berater und die Vizepräsidenten. "Das Schema des Ein-Mann-Regimes", titelten die letzten regierungskritischen Zeitungen im Land.

Noch aber vermag niemand zu sagen, was wirklich geschieht, wenn am Sonntag die Wahllokale um 17 Uhr Ortszeit schließen. Ob Erdogan gleich in der ersten Runde über 50 Prozent kommt, wie bei der ersten Direktwahl eines Präsidenten 2014, oder aber in eine Stichwahl zwei Wochen später muss, könnte rasch feststehen. Die Auszählung der Stimmen für das auf 600 Sitze vergrößerte Parlament aber dürfte wegen der erstmals antretenden Parteienbündnisse langwieriger werden. Ob Erdogans konservativ-islamische AKP und die mit ihr verbündete rechtsgerichtete MHP über 300 Mandate kommen, ist unsicher.

Als Präsident kann Erdogan im neuen System weitgehend ohne Parlament regieren. Doch ein von der Opposition geführtes Abgeordnetenhaus würde ihn immer einzuschränken versuchen. "Ich vertraue meinem Volk am Sonntag, ich liebe mein Volk", erklärte der 64-jährige Amtsinhaber nun auf den letzten Metern des Wahlkampfs. Solche Liebesbekenntnisse hat man schon von anderen Regimeführern gehört.

Seit 2002 waren Erdogan und seine AKP von einem Wahlsieg zum nächsten geeilt. Bei diesem Wahlkampf aber hatten sie ein Problem: Die Botschaft fehlt. Es gibt kein neues Thema und – anders als bei der Opposition – kein neues Gesicht. Erdogan will wiedergewählt werden.

Keine Debatten mit Gegnern

Seine Amtserfahrung haben die Wahlstrategen des Präsidenten als wichtigstes Argument heraus gestellt. "Wie können Leute dieses Land regieren, die immer nur verloren haben?", sagte Erdogan deshalb über seinen wichtigsten Gegner, die Republikanische Volkspartei, und dessen Präsidentenkandidaten Ince.

Erdogans Anhänger mögen dies für ein logisches Argument halten. Doch die Weigerung des Staats- und Parteichefs, sich mit seinen Gegnern anders auseinanderzusetzen als über Entgegnungen in Wahlkampfreden, ließ ihn zunehmend abgehoben erscheinen. Eine Fernsehdebatte, zu der ihn vor allem Muharrem Ince aufgefordert hatte, lehnte Erdogan barsch als unter seiner Würde ab: "Er schämt sich nicht, mich ins Fernsehen einzuladen", sagte Erdogan. "Über was reden Sie mit einem Mann, der sagt: Ich bin gegen den Istanbul-Kanal?", fragte Erdogan rhetorisch in einer der Interviewrunden im türkischen Fernsehen. Der Istanbul-Kanal ist das größte, bereits vor sieben Jahren angekündigte Bauprojekt Erdogans. Der türkische Staatschef will im Westen von Istanbul einen Kanal parallel zum Bosporus vom Schwarzen Meer bis zum Marmara meer graben lassen.

Herausforderer mit vielen Fragen

Seine Herausforderer haben andere Themen. "Warum sprichst du nicht über die Wirtschaft?", rief Ince dem Präsidenten bei einer seiner letzten Kundgebungen zu. Die hohe Inflation, der Sturz der Lira und die intransparente Finanzierung staatlicher Großbauprojekte sind das große Wahlkampfthema der Opposition. Der Niedergang von Rechtsstaat und Demokratie kommt meist danach.

"Die Führung des Landes muss wechseln", fordert Meral Akşener, die Kandidatin der rechtsnationalen Guten Partei, und kündigt die Aufhebung des Ausnahmezustands an, den Erdogan vor bald zwei Jahren über das Land verhängt hat. Akşener musste bei ihrem Wahlkampf noch mehr Behinderungen hinnehmen als Ince. Im Fernsehen kam sie regelmäßig zu kurz, bei öffentlichen Auftritten fiel gern der Strom aus.

STANDARD-Korrespondent Markus Bernath über die Wahlen in der Türkei
DER STANDARD

(Markus Bernath, 23.6.2018)

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