Die Wahrscheinlichkeit, dass beim "Minigipfel" zur Migrationspolitik am Sonntag etwas herauskommt, ist gering. Schon die "interessierten Staaten" (Juncker), die ihr Treffen zugesagt haben, sind zu uneinig darüber, was sie eigentlich wollen – oder vielmehr nicht wollen. Dazu kommt noch, dass Ungarns Premier Viktor Orbán am Donnerstag die Teilnahme der Visegrád-Staaten abgelehnt hat. Bis zum "richtigen" EU-Gipfel am Donnerstag, und wohl auch noch weit darüber hinaus, wird das Thema also prolongiert – und damit die Spaltung und Schwächung Europas in der Migrationsfrage.

Die Erkenntnis, nur einig zu sein, dass man uneinig ist, könnte auf die Staats- und Regierungschefs auch befreiend wirken: keine Versuche mehr, Kompromisse zu schmieden, die ohnehin nicht halten; kein Druck, zu vermitteln; keine dringlichen Zwiegespräche. Einfach das gemeinsame Abendessen genießen – und jeder und jede darf sagen, welchen Kontinent er oder sie sich künftig wünscht: ein Dinner der Utopien, als Abschluss der bulgarischen und als schöne Überleitung zur österreichischen Präsidentschaft.

Allianz gegen Merkel

Die Konservativen und Populisten zum Beispiel, die gerade eine Allianz gegen Angela Merkel schmieden, könnten überlegen, was wäre, wenn die Grenzen so dicht wären, dass niemand mehr durchdränge. Dann könnte man mit dem Thema keine Emotionen mehr schüren (aus Populistensicht schlecht), aber man könnte sich auf die Probleme im eigenen Haus konzentrieren und versuchen, Europa vor allem gegenüber Donald Trumps "America alone"-Politik zu einen.

Liberale und Sozialdemokraten würden sich bei diesem Dinner wohl auch nicht wünschen, die Grenzen zu öffnen (das will eigentlich keiner, nicht einmal Merkel), aber sie würden auf dem Traum und dem Versprechen beharren, dass Europa bleiben müsse – quasi ein europäisches "Land of the Free" für jene, die verfolgt sind und willens, eine positive Zukunft des Kontinents mitzugestalten.

Vielleicht käme man sogar doch noch auf Gemeinsamkeiten, die alle gut finden – zum Beispiel EU-Einwanderungsbüros an den Außengrenzen. Dort könnten sich Menschen dann um Asyl und/oder Aufenthalt in Europa bewerben. Sie würden einen Aufnahmeprozess durchlaufen, durchgeführt von Einwanderungsexperten der EU vor Ort. Sie würden Hand in Hand mit Menschenrechtsexperten arbeiten, gemeinsam würde man über Aufnahme oder Ablehnung entscheiden.

Kontingent für Schwache

Aber nicht nur die Starken, jene, in die Europa investieren will, bekämen eine Chance. Es gäbe auch ein Kontingent für Schwache, Kinder und Frauen, deren Entwicklung zwar ungewiss ist, die aber dringend Hilfe brauchen. Die EU-Officers würden entscheiden, in welchem Land diese Zukunft beginnen kann, die Flüchtlinge würden weiterreisen und in ihrer neuen Heimat willkommen geheißen und mit einem dichten Netz an Unterstützung versorgt. Wer die Integration schaffte, dürfte bleiben – wer nicht, müsste gehen. Die Behörden achteten sehr genau darauf, dass das auch eingehalten würde.

Damit bekäme Europa zum großen Teil jene Einwanderer, die es haben will, den Menschenrechten wäre Genüge getan. Aufnahme, Verteilung und Starthilfe wären ein zwar tougher, aber fairer Prozess. Die Staats- und Regierungschefs könnten das, rein utopisch gedacht, beim Dessert beschließen – und jeder hätte etwas gewonnen.

Kanada lebt diese Migrationsutopie übrigens schon lange – und fährt nicht schlecht damit.(Petra Stuiber, 22.6.2018)