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Von Lepra gezeichnete Hände.

Foto: dpa Zentralbild/Ralf Hirschberger

Gelb und blau getünchte Baracken säumen den Weg. Die meisten von ihnen sind zugesperrt. Am Ende des Weges steht ein zerfallenes Kino. Nur einige Kinder des anliegenden Dorfes kicken auf einem gepflegten Fußballplatz. Auch dieser gehört zu der ehemaligen Lepra-Kolonie Mogi das Cruzes, in der bis in die 1990er-Jahre Erkrankte zwangsinterniert wurden. Mehr als 4000 Menschen lebten in der Siedlung, die rund 70 Kilometer von der Metropole São Paulo entfernt liegt – abgeschottet und ohne Kontakt zur Außenwelt.

"Ich denke, Gott hat uns vergessen", sagt der 80-jährige Reginaldo. Er ist einer von rund 60 verbliebenen Patienten. "Wo soll ich hin?", fragt der ehemalige Landarbeiter, der verkrüppelte Füße und Schmerzen am ganzen Körper hat. "Wir wurden wie Aussätzige behandelt." Vor mehr als 50 Jahren wurde er in Mogi das Cruzes zwangseingewiesen. Seine Frau, die er in der Kolonie kennenlernte, ist bereits verstorben. Familienangehörige hat er nicht mehr. Nach Schätzungen der Selbsthilfegruppe Morhan teilen mehr als 3500 ehemalige Lepra-Patienten in ganz Brasilien das Schicksal von Reginaldo.

Morhan kämpft dafür, dass die Zwangseinweisungen als Verbrechen des Staates anerkannt werden. Doch für viele inzwischen hochbetagte Betroffene kommt eine Wiedergutmachung zu spät.

Isolierte Heime

Viele Brasilianer kennen die Geschichten der ehemaligen Lepra-Kolonien. Seit den 1940er-Jahren wurden isolierte Heime im ganzen Land errichtet und erst in den 1990er-Jahren offiziell geschlossen. Damit ist aber auch für viele Brasilianer die Krankheit aus dem Gedächtnis verschwunden. Dabei hat das südamerikanische Land nach Indien die höchste Zahl an Neuinfektionen weltweit. Jährlich erkranken offiziell rund 26.000 Menschen an einer Krankheit, die längst ausgerottet sein könnte.

"Die Dunkelziffer ist mindestens doppelt so hoch", sagt Reinaldo Bechler von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) in Brasilien. "Die Regierung ist nicht ehrlich genug und möchte die Krankheit am liebsten verschleiern." Der "größte Skandal" ist für ihn, dass jährlich auch 3000 Kinder mit Lepra infiziert werden. Aufgrund der langen Inkubationszeit von bis zu zehn Jahren ist klar, dass in der Umgebung auch infizierte Erwachsene leben, die nicht behandelt wurden.

Mangelnde Hygiene begünstigt Ausbreitung der Bakterien

Lepra haftet das Stigma einer "Armutskrankheit" an. Denn mangelnde Hygiene begünstigt die Ausbreitung der Bakterien. Entgegen der landläufigen Meinung ist Lepra nicht hochansteckend. Dennoch haben Infizierte mit Vorurteilen und Ausgrenzung zu kämpfen. Kinder würden vom Schulunterricht ausgeschlossen, Erwachsene verlieren ihren Job, Freunde und Nachbarn wenden sich ab, zählt der Epidemiologe Euzenir Sarno von der staatlichen Stiftung Oswaldo Cruz auf.

Dabei ist Lepra vor allem im Frühstadium gut behandelbar. Wenn jedoch Lähmungen und Verstümmelungen aufgetreten sind, lassen sich diese nicht wieder rückgängig machen.

Viele Infizierte haben zudem eine Odyssee hinter sich, bevor sie richtig behandelt werden. 85 Prozent all seiner Patienten hätten zuvor eine falsche Diagnose erhalten, sagt Sarno. "Ich habe sogar einen Patienten, der 13 Ärzte konsultiert hatte – ohne Diagnose."

Kaum öffentliche Aufklärungskampagnen

Viele Ärzte kennen sich mit den Symptomen von Lepra wie Hautausschlag und Nervenschädigungen nicht aus. Öffentliche Aufklärungskampagnen gibt es so gut wie gar nicht, und in den Medien wird die Krankheit verschwiegen. "Die Öffentlichkeit will einfach nicht wahrhaben, dass die Krankheit existiert", meint Sarno. Weil sie nicht tödlich ist, tauche sie in der Statistik nicht auf. Es sei eine "aktive Suche" nach Infizierten notwendig, weil viele von ihnen "im Stillen vor sich hin leiden".

"Lepra ist ein politisches Problem. Die Krankheit hat mehr als 2000 Jahre Geschichte hinter sich, und es gibt immer noch viele offene Fragen", sagt auch Bechler. So ist der genaue Ansteckungsweg noch nicht geklärt. Viel zu wenig werde in die Erforschung neuer Arzneimittel und eines Impfstoffes gegen Lepra investiert.

So wird in Brasilien das Medikament Thalidomid, das seit mehr als 50 Jahren auf dem Markt ist, immer noch zur Lepra-Behandlung eingesetzt. Weltweit hat das Medikament unter dem Namen Contergan bis in die 1960er-Jahre für zahlreiche Fehlbildungen bei Neugeborenen gesorgt. Trotz der ethischen Bedenken sei das Medikament das "einzig effektive, das wir in Brasilien haben", sagt Bechler. Oftmals sei es die letzte Alternative zur Amputation von Gliedmaßen.

Kinder mit Fehlbildungen

Zwar dürfen Schwangere das Medikament offiziell nicht einnehmen, doch eine Kontrolle ist schwierig. Immer wieder kommen Kinder mit Fehlbildungen zur Welt – hervorgerufen durch die Einnahme von Thalidomid, wie Forscher der Universität in Porto Alegre herausfanden. Sie stellten fest, dass die Einnahme von Thalidomid entgegen dem weltweiten Trend in Brasilien angestiegen ist. Das Medikament ist preiswert und wird vor Ort produziert. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 24.6.2018)