Eine Rekonstruktion der kurzgesichtigen Niatakuh.
Illustration: Jorge González

Bereits Charles Darwin war von ihm angetan, als er ihm vor 180 Jahren in Argentinien begegnete. Der Vater der Evolutionstheorie erwähnte es sogar in seinem Werk "Über die Entstehung der Arten". An der Faszination für dieses seltsame Tier hat sich bis heute nichts geändert: Obwohl das Niatarind mit seinem Bulldoggengesicht schon lange ausgestorben ist, konnten australische und Schweizer Wissenschafter nun neue Einblicke in die Anatomie der ungewöhnlichen Rasse gewinnen.

Darwin sah dieses Tier, als er in den 1840er Jahren das ländliche Argentinien und die Regionen rund um Buenos Aires besuchte. Er schrieb über das Rind und stellte Fragen zu seinem Ursprung: zu seiner Anatomie, seiner Beziehung zu anderen Kühen und zu seiner Funktionsweise hinsichtlich der besonderen Kopfform. Auch der Schweizer Anatom Rütimeyer schrieb über das Niatarind in seinen umfangreichen Viehstudien.

Neue Werkzeuge zur Untersuchung des Niatarinds

Einige Skelette der vor über 100 Jahren ausgestorbenen Rasse sind in Sammlungen weltweit erhalten geblieben. Mit den heutigen neuen Untersuchungsmethoden hatte das internationale Team bessere Möglichkeiten als frühere Wissenschafter, die körperlichen Merkmale des Niatarinds anhand dieser Überreste zu untersuchen. "Bis zu unserem Paper gab es keine Versuche, die Anatomie dieses Rinds mit neuen Methoden zu verstehen. Wir nutzten die Vererbungslehre, nicht-invasive Bilddarstellung und biomechanische Analysen – alles Werkzeuge, die Darwin nicht zur Verfügung standen", erklärt Marcelo R. Sánchez-Villagra von der Universität Zürich.

Die letzten Kühe mit Bulldoggengesicht starben Anfang des 20. Jahrhunderts aus.
Foto: Archiv

Die Wissenschafter bestätigen nun Darwins Ansatz, dass diese ausgestorbene Form des Viehs eine reine Rasse mit einzigartigen Schädelmerkmalen war. "Eine reine Rasse ist es dann, wenn seine Merkmale die Zeit überdauern und sie von anderen Arten unterschieden werden können – selbst wenn es zu einer Kreuzung mit anderen Rasse kommt", sagt Laura Wilson von der University of New South Wales in Sydney.

Keine Atemprobleme

"Wir wissen jetzt auch, dass die Niata eine Rinderrasse und aufgrund ihrer kurzen Schnauze und ihres Unterbisses einzigartig war. Durch diesen Körperbau ergaben sich Unterschiede im Bereich der Nahrungsaufnahme." Die Untersuchung der Anatomie zeigten, dass die Nasenregion kaum durch die kurze Schnauze und den Unterbiss beeinflusst war. Anders als bei manchen Bulldoggen litt das Niatarind auch nicht unter Atemproblemen. Die Wissenschafter haben ausserdem moderne Computermodelle erstellt, um herauszufinden inwiefern das kurze Gesicht die Kaufähigkeiten des Niatarinds im Vergleich zu anderem Vieh beeinflusste. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass auf die Schädelknochen der Tiere während der Nahrungsaufnahme weniger Druck ausgeübt wurde.

Die im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlichte Studie könnte darüber hinaus Wissenschaftern dabei helfen zu verstehen, wie vom Aussterben bedrohte Spezies besser geschützt werden können. "Die Niata-Kuh steht beispielhaft für das Aussterben von seltenen Rassen", so die Forscher. Während zwar nach wir vor unklar sei, warum die Niata-Kuh ausgestorben ist – genaue Studien über den Verlauf ihrer Population existieren nicht – könnten aber immerhin konkrete Schlussfolgerungen gezogen werden.

Andere Rassen bevorzugt

"Wir wissen, dass die Kuh entgegen ihrer Sonderbarkeit essen und leben konnte, wie jede andere Kuh auch. Ihr Aussterben war deshalb kein Ergebnis der Nichtanpassung – stattdessen fand ihr Aussterben in Argentinien zeitgleich mit der Intensivierung der Viehzucht statt", meint Sànchez-Villagra. Einer Zeit also, in der nach der optimalen Rinderrasse gesucht worden sei. "Das bedeutet, dass der Fokus auf deutlich weniger Rassen lag und viele Tiere ausstarben." (red, 25.6.2018)