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Angela Merkel und Sebastian Kurz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Mitte Juni 2018.


Foto: REUTERS/MICHELE TANTUSSI

Brüssel – Die Europäische Union steht in der Flüchtlingsfrage vor entscheidenden Tagen. Am Sonntag beraten 16 EU-Staaten – darunter Österreich – bei einem Mini-Asylgipfel in Brüssel die weitere Vorgangsweise in Sachen Migration.

Österreich will beim Konflikt um eine gemeinsame Migrationspolitik in der Europäischen Union eine Vermittlerrolle einnehmen. "Die ungelöste Migrationsfrage hat sehr viele Spannungen ausgelöst und zu unterschiedlichen Zugängen geführt. Wir wollen Brückenbauer sein", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Sonntag vor dem Gipfel in Brüssel.

Laut zahlreichen Medien kämpft Angela Merkel beim Asyl-Krisengipfel in Brüssel auch um ihren Job als deutsche Regierungschefin. Ist das tatsächlich so? Peter Fritz vom ORF analysiert.
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Kurz hofft, dass bei dem Treffen am Sonntag und beim anstehenden EU-Ratsgipfel am Donnerstag und Freitag Gemeinsamkeiten in der Migrationspolitik herausgearbeitet werden. Der Bundeskanzler sieht darin vor allem die Stärkung eines funktionierenden Außengrenzschutzes und den Ausbau von Frontex mit erweitertem Mandat, um gegen Schlepper und auch in Drittstaaten vorgehen zu können. "Wenn das gelingt, wäre das ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung", so Kurz.

Es brauche eine "gemeinsame europäische Lösung, um sicherzustellen, dass es ein Europa ohne Grenzen nach innen gibt". Den Mini-Gipfel am Sonntag bezeichnete Kurz als "informelle Arbeitssitzung – es sollte daher keine zu hohen Erwartungshaltungen geben". Beim EU-Gipfel am Ende der Woche könnte man dann in Sachen Beschlussfassung "einen Schritt weiter" kommen, erklärte Kurz.

SPÖ kritisiert Kurz scharf

Bei der SPÖ kauft man hingegen Kurz' den Wunsch nach Vermittlung nicht ab. Seine Handlungen seien vielmehr genau gegenteilig zu bewerten, meint SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried: Kurz wolle Europa spalten, stelle "nur populistische Forderungen" und trage nicht zu einer "wahren Lösung der Migrationsfrage bei." Er betreibe das Geschäft jener, die die Europäische Union zerstören wollen.

Leichtfried wünscht sich ein gemeinsames europäisches Asylsystem, mehr Hilfe vor Ort sowie die Stärkung des Außengrenzschutzes. Daran hätten die "Rechtspopulisten" rund um Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und Kurz in Wahrheit aber "kein Interesse".

Hoffnungen setzt Leichtfried vielmehr in die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Premier Emmanuel Macron. Sie würden Europa "wirklich schützen und weiterentwickeln" wollen.

Alle blicken auf Merkel

Der Sondergipfel, zu dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eingeladen hat, findet auf Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel statt. Merkel, die zuhause unter immensem Druck ihres Koalitionspartners CSU steht, möchte den europäischen Partnern einen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik abringen. Etlichen EU-Staaten ist Merkels Vorgehen in der Asylpolitik inzwischen zu zaghaft, sie fordern wesentlich striktere Maßnahmen gegen illegale Migration, eine Abschottung der EU-Außengrenzen und eine Abkehr von Merkels "Willkommenspolitik".

Doch auch die deutsche Kanzlerin selbst hat vor dem EU-Asylgipfel die Erwartung auf eine EU-weite Lösung gedämpft. "Wir wissen, dass wir auf dem Europäischen Rat leider noch keine Gesamtlösungen bekommen werden", sagte Merkel in Brüssel. Das Mini-Treffen diene nur einer ersten Beratung, sei aber für bi- und trilaterale Absprachen unter den Staaten in den nächsten Tagen wichtig. Man könne nicht immer auf alle 28 EU-Staaten warten. Einen Modus vivendi zu finden, stehe im Mittelpunkt. Das Treffen nun sei "ein erster Austausch".

Welche Vorstellungen sie haben, kommunizierten einzelne Länder bereits kurz vor dem Gipfel. So drängt etwa Italien auf einen "radikalen Wandel" in der Asypolitik. Die Dublin-Regelung, nach der Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst innerhalb der EU betreten hätten, müsste komplett überwunden werden, sagte etwa Regierungschef Giuseppe Conte.

Der französische Präsident Emmanuel Macron meinte, dass die illegale Migration zwar reduziert, dabei aber die Menschenrechte geachtet werden müssen. Vermittelnde Töne kommen aus Malta. Regierungschef Joseph Muscat betonte, es gehe darum, offen in die Debatte zu gehen und nicht darum, "auf andere mit dem Finger zu zeigen." Bei einer etwaigen Lösung sei ein "Mehrfach-Ansatz" notwendig.

Der kroatische Premier Andrej Plenkovic sieht in dem Arbeitstreffen die Chance, wie die illegale Migration auf den diversen Mittelmeerrouten behandelt werden könne. Auch Plenkovic trat für eine Stärkung des EU-Außengrenzschutzes ein. Dafür sollten auch die im neuen mehrjährigen Finanzrahmen vorgesehenen 33 Milliarden Euro verwendet werden.

Weitere Teilnehmer setzten ihr Kommen durch

Ursprünglich hatte Juncker nur acht Länder zu dem Sondergipfel eingeladen. Acht weitere Länder setzten dann ihre Teilnahme durch. Die sogenannte Visegrad-Gruppe aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei protestierte scharf gegen das Treffen vier Tage vor dem regulären EU-Gipfel. Die vier Staaten verfolgen eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik und weigerten sich, eine Umverteilung von Flüchtlingen aus den Hauptankunftsländern Italien und Griechenland innerhalb der EU umzusetzen. Auch Rumänien ist bei dem Sondergipfel nicht vertreten. Es hatte 2015 gleichfalls gegen einen Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister zur Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen gestimmt. (APA, red, 24.6.2018)