Bei Altverträgen entsteht Rechtsunsicherheit, die in vielen Fällen erst die Gerichte beseitigen werden.

Illustration: Armin Karner

Wien – In vielen Fällen war die betriebliche Praxis schon flexibler als der regulatorische Rahmen, das neue Arbeitszeitpaket holt also viele Arbeitsverhältnisse aus der Illegalität. Doch gerade bei Altverträgen entsteht Rechtsunsicherheit, die in vielen Fällen erst die Gerichte beseitigen werden.

Die heftig diskutierte Frage, unter welchen Umständen Arbeitnehmer die elfte und zwölfte Überstunde werden ablehnen können, muss noch politisch geklärt werden. Aber es gibt darüber hinaus spannende Streitfragen.

Streitfall 1: Gleitzeit und Überstunden

Für Gleitzeitmitarbeiter hat das Arbeitszeitgesetz bisher eine Normalarbeitszeit von maximal zehn Stunden vorgesehen; es war also klar, dass die elfte und zwölfte Stunde als teurere Überstunden gelten. Würde die Regierung ihre Linie, wonach sich daran nichts ändern soll, ernst meinen, hätte sie die bisherige gesetzliche Regelung einfach unberührt lassen müssen.

Doch die Normalarbeitszeit bei Gleitzeitverträgen wurde auf zwölf Stunden angehoben. Bei künftigen Arbeitsverträgen macht der Entwurf also keinen finanziellen Unterschied mehr zwischen der neunten und der zwölften Stunde.

Spannend wird es bei der Beurteilung der vielen Altverträge: Überstunden liegen zweifellos dann vor, wenn der vereinbarte Gleitzeitrahmen – also der Rahmen des Zeitraums, in dem die Mitarbeiter jeden Tag "gleiten können" – ohnehin nicht mehr als zehn Stunden pro Tag beträgt. Aber auch bei einem längeren Gleitzeitrahmen (z. B. 6.00 bis 20.00 Uhr) könnte argumentiert werden, dass Betriebsrat bzw. Mitarbeiter bei Abschluss der Vereinbarung von einer strikten Begrenzung der Normalarbeitszeit mit zehn Stunden ausgegangen sind – was dafür spricht, dass die elfte und zwölfte Stunde zuschlagspflichtig sind.

Ergibt sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Gleitzeitvereinbarung hingegen, dass alle innerhalb des Gleitzeitrahmens geleisteten Stunden grundsätzlich als Normalarbeitszeit anzusehen sind, würde dies wiederum gegen die Zuschlagspflicht für die elfte und zwölfte Stunde sprechen. Letztlich wird es somit entscheidend darauf ankommen, wie aktuelle Gleitzeitvereinbarungen konkret formuliert sind.

Streitfall 2: Was heißt All-in?

Eine ähnliche Frage ergibt sich auch bei All-in-Verträgen. Während bei neuen Verträgen unstrittig sein wird, dass auch die elfte oder zwölfte Arbeitsstunde mit abgegolten ist (solange die kollektivvertragliche Überzahlung ausreicht), ist dies bei bestehenden Verträgen nicht so klar. Eine Abdeckung würde voraussetzen, dass nach dem Willen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss alle während des Dienstverhältnisses zulässigerweise geleisteten Überstunden umfasst sein sollen, also auch die "neue" elfte und zwölfte Stunde.

Diese Sichtweise wäre insbesondere dann vertretbar, wenn laut dem Text einer All-in-Klausel "sämtliche künftig geleisteten Mehr- und Überstunden" vom Entgelt abgedeckt sind. Letztlich geht es hier um Einzelfragen der Vertragsinterpretation, die aller Voraussicht nach häufiger als bisher vor Gericht landen werden.

Streitfall 3: Wer ist ausgenommen?

Bisher waren nur wenige Führungskräfte vom Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz völlig ausgenommen. Dieser Kreis soll künftig auf jene Personen ausgeweitet werden, denen "maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis" zukommt und die sich die Arbeitszeit im Wesentlichen selbst einteilen können.

Dazu könnten auch Mitarbeiter zählen, die weder Personalverantwortung noch eine besonders relevante Funktion für das wirtschaftliche Fortkommen des Betriebes haben, aber in ihrem Bereich frei agieren können. Klar dürfte bereits jetzt sein, dass – ähnlich wie bei den "leitenden Angestellten" nach Arbeitszeit- und Arbeitsverfassungsgesetz – erst die Gerichte ein klareres Bild dieser neuen Gruppe von Arbeitnehmern schaffen werden.

Wer die Klärung der vielen offenen Fragen hingegen nicht den Gerichten überlassen will, ist gut beraten, das Gesetzespaket zum Anlass für eine vertragliche Neuregelung der offenen Punkte zu nützen. Dabei käme auch den Betriebsräten eine zentrale Rolle zu. (Philipp Maier, 25.6.2018)