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Präsident Erdoğan proklamierte sich zum Sieger, die Opposition weigerte sich bis in die späten Abendstunden, das Ergebnis anzuerkennen.

Foto: REUTERS/Goran Tomasevic

Weit im Osten, Richtung Kaukasus, läuft es wie geschmiert. Der eine stempelt die Stimmzettel bei Nummer drei, der Nächste faltet sie, ein anderer steckt sie in die Urne. Nummer drei ist Tayyip Erdoğan, er hat die dritte Position auf den Stimmzetteln für die Präsidentenwahl in der Türkei. Die war am Sonntag von zahlreichen Unregelmäßigkeiten und Verstößen geprägt. Die Provinzstadt Horasan im Osten des Landes, wo ein Bürgermeister der Erdoğan-Partei regiert, war nur ein Beispiel für offensichtlichen Wahlbetrug. Ein Wähler hatte dort mit dem Mobiltelefon die emsigen Helfer im Stimmlokal gefilmt.

Noch während der Auszählung der Stimmen hatte sich Erdoğan bereits am Wahlabend zum Sieger erklärt. In der Nacht auf Montag verkündete dann auch die Wahlkommission seinen Sieg: "Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Herr Recep Tayyip Erdoğan die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten hat", sagte Wahlkommissionschef Sadi Güven nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu.

Nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl komme Erdoğan auf 52,55 Prozent. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem İnce, landete demnach mit 30,67 Prozent auf Platz zwei. Auch die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdoğan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent. İnce kam dort auf 31,34 Prozent. İnce wollte sich erst am Montagmittag zum Ausgang der Wahl äußern.

Eine Wahl für ein halbes Jahrhundert

Erdoğan hingegen sagte bei seiner Siegesrede am frühen Montagmorgen in Ankara, es habe sich um Wahlen gehandelt, "die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden". Der bisherige und künftige Präsident verkündete auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers vor jubelnden Anhängern: "Meine Brüder, die Sieger dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich. Der Sieger dieser Wahl ist jeder einzelne unserer 81 Millionen Bürger."

Am Wahlabend lief alles wie von selbst für Erdoğan, den 64-jährigen Amtsinhaber, und seine seit 16 Jahren regierende Partei. Wie die Zehntelsekunden beim Abfahrtslauf rasen die Prozentzahlen für den Staatspräsidenten in den Grafiken der Wahlstudios, bleiben mal bei 71 Prozent, ein anderes Mal bei 59,9 stehen. Erdoğan gewinnt überall auf der Landkarte der Türkei: links in Istanbul und rechts im Osten, in der Mitte, im konservativen Zentralanatolien sowieso.

Opposition stagniert

Ein paar Ausreißer gab es schon. Die Kurdenstädte gehen an den Präsidentenkandidaten der Kurdenpartei und große Städte an der Ägäis- und Mittelmeerküste wie Izmir und Mugla an den Kandidaten der säkularen CHP. Aber das war nie anders.

Muharrem İnce hat gleichwohl mehr als die üblichen 25 oder 27 Prozent für die CHP ergattert und kam auf etwa 30 Prozent. Selahattin Demirtaş wiederum schaffte um die 7,5 Prozent, etwas weniger als 2014, obwohl er im Gefängnis sitzt und seinen Wahlkampf über Twitter und Telefon führte. Die Opposition in der Türkei lebt trotz Ausnahmezustands, Massenverhaftungen und Beschränkung der Meinungsfreiheit. Erdoğan aber erhält um die 52 Prozent, so lässt die Auszählung der Stimmen am Sonntagabend erkennen. Er würde damit das Ergebnis der ersten direkten Präsidentenwahl vor vier Jahren halten – dieses Mal allerdings gegen fünf Kandidaten.

Mehrheit für "Volksallianz", Kurdenpartei im Parlament

Auch bei der gleichzeitigen Parlamentswahl setzte sich das Erdoğan-Lager klar durch. Laut Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu kommt das Bündnis von Erdoğans konservativ-islamischer AKP und der rechtsgerichteten MHP – die "Volksallianz" – auf deutlich mehr als 340 der 600 Sitze, also die absolute Mehrheit.

Die "Allianz der Republik", das Bündnis von CHP, der neuen rechten Guten Partei und der Islamistenpartei Saadet, rangierte bei rund 34 Prozent. Gleichzeitig schaffte aber die prokurdische Minderheitenpartei HDP erneut knapp den Sprung über die Zehnprozenthürde. In das neue, auf 600 Abgeordnete vergrößerte Parlament könnte sie mit 64 Abgeordneten einziehen. Das Bündnis der anderen Oppositionsparteien käme auf 188 Sitze.

Das Innenministerium sprach gleichwohl von der ruhigsten Wahl in den zurückliegenden Jahren. Im kurdischen Südosten und selbst in Istanbul gab es allerdings Fausthiebe für Oppositionspolitiker und deren Wähler sowie Berichte über mit Stimmzetteln präparierte Urnen. Denn für Erdoğan und seine Anhänger ging es um alles: um den Machterhalt, den Sieg im Rennen um das Präsidentenamt und die absolute Mehrheit im Parlament. Mit 87,6 Prozent war die Wahlbeteiligung sogar noch um zwei Punkte höher als 2015.

İnce erkennt Ergebnis an

Gleich nach Schließung der Wahllokale am Nachmittag kam Muharrem İnce vor das Gebäude der Wahlbehörde in Ankara. Der Oppositionskandidat rief alle Bürger im Land auf, nicht von den Schulen wegzugehen, wo die Wahllokale untergebracht sind. Sie sollten bleiben, bis die Auszählung beendet sei. Gleichsam als Warnung an die Mitglieder der Wahlkomitees, gar nicht erst an Betrug zu denken. Montag Vormittag erklärt İnce schließlich, das Ergebnis anzuerkennen. Zugleich warnte er vor der Machtfülle Erdoğans. Die Türkei sei von nun an ein "Ein-Mann-Regime". Das neue Regierungssystem sei "sehr gefährlich".

Drei Deutsche, die auf Einladung der prokurdischen HDP die Wahl beobachten wollten, wurden festgenommen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die beiden Männer aus Köln und die Frau aus Halle in Uludere in der südosttürkischen Provinz Sirnak von der Polizei festgenommen. Das deutsche Auswärtige Amt bestätigte die Festnahme.

Wahlbeobachter meldeten besonders aus dem Südosten Unregelmäßigkeiten. Bei Auseinandersetzungen während der Wahlen wurde ein Oppositionspolitiker getötet. Dabei handle es sich um den Bezirksvorsteher der nationalkonservativen Iyi-Partei in der Provinz Erzurum, teilte die Oppositionspartei mit. Die Nachrichtenagentur DHA sprach von einer weiteren getöteten Person. Es habe sich um eine Fehde zwischen zwei Familien gehandelt. (Markus Bernath, APA, 24.6.2018)