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16 Tore in der Qualifikation, keines bei der WM: Mittelstürmer Robert Lewandowski, mehrfacher Schützenkönig in der deutschen Bundesliga, kam zum messerscharfen Schluss, dass er an Polens Scheitern völlig schuldlos ist.

Foto: REUTERS/John Sibley

Die Zeit des Gehens, des Scheiterns, der Tränen, des Frusts ist gekommen. Die Weltmeisterschaft gibt vor Beginn der K.-o.-Phase zwangsläufig einige ihrer Stars ab. Wahrhaftige und solche, die sich dafür halten. Die Kunst des Verlierens beherrschen nur wenige, dabei sollen ja gerade Niederlagen lehrreich und irdisch sein. Am Sonntagabend in Kasan gab es nach Abpfiff der Partie zwischen Kolumbien und Polen zunächst eine durchaus rührende Szene. Der siegreiche James nahm Robert Lewandowski im Mittelfeldkreis in die Arme, spendete Trost, knuddelte ihn fast. Sie sind Kollegen bei Bayern München, diese Bande hält ein schnödes 3:0 für die Südamerikaner aus.

Man sieht sich bald wieder, um gemeinsam Fußballspiele zu gewinnen. Die polnische Presse, die bereits auf das 1:2 gegen Senegal nicht gerade enthusiastisch reagiert hatte, ging mit der Mannschaft hart ins Gericht. Fakt schrieb: "Schande! Peinlich! Blamage! Wir glaubten, es wäre anders, dass ihr uns diesmal nicht im Stich lassen würdet. Wir hassten die Erinnerungen an 2002 und 2006. Ihr solltet sie verwischen. Zeigen, dass ein Land mit 40 Millionen Einwohnern elf Spieler aufstellen kann, die mit den Besten mithalten können. Ihr habt euch wieder blamiert."

Und Lewandowski (29) betrieb eine Ursachenforschung, die geschmacklos bis grenzwertig war. Der Kapitän wälzte die Schuld auf seine Teamkollegen ab. "Aus nichts kann ich nichts machen", sagte er. "Es gibt keinen Spieler auf der Welt, der den Ball erobert, fünf Gegner und den Torwart ausspielt und dann ein Tor schießt. Ich hatte keine Torchance. Ich wäre wütend auf mich, wenn ich Chancen gehabt und vergeben hätte. Ich bin ein Stürmer, der von Vorlagen lebt."

Am nächsten Tag, im Quartier in Sotschi, legte er nach – so viel also zum Grundsatz, dass es oft ratsam ist, über Dinge einmal zu schlafen. "Die Mannschaft hat nicht die fußballerische Qualität. Man konnte einen Klassenunterschied sehen. Ich persönlich konnte nicht mehr tun."

Selbstreflexion zählt nicht zu Lewandowski Tugenden. Dem Mittelstürmer wird mitunter vorgehalten, in bedeutenden Spielen zu versagen. Bei seiner ersten WM hat er diese These eindrucksvoll bestätigt. Eine WM ist eben nicht Mainz oder Augsburg.

Der Fall des Ägypters Mohamed Salah ist anders gelagert. Salah (26) war Schützenkönig in der englischen Premier League, zog mit Liverpool ins Finale der Champions League gegen Real Madrid (1:3) ein. Salah wurde am 26. Mai in Kiew von Sergio Ramos gefoult, landete hart auf der Schulter, von dieser Verletzung hat er sich nicht erholt. Er hätte aus medizinischer Sicht Russland auslassen sollen. Salah probierte es trotzdem, war freilich ein Schatten seiner selbst. In Ägypten gilt er als Volksheld, auf Österreich umgemünzt ist er die Multiplikation von Marcel Hirscher mit Dominic Thiem zum Quadrat. "Salah trug die Last eines gesamten Landes, es war unmöglich, die Erwartungen zu erfüllen", sagte Hector Cuper, Ägyptens Teamchef aus Argentinien.

Salah und Kadyrow

Was dem strenggläubigen Muslim Salah bleibt, ist die Ernennung zum Ehrenbürger Tschetscheniens. Der Verband hatte das Quartier zum Entsetzen mehrerer Menschenrechtsorganisationen in Grosny aufgeschlagen. Präsident Ramsan Kadyrow, dem Mord, Folter und die Verfolgung von Minderheiten zur Last gelegt werden, suchte und fand Salahs Nähe. Ein gemeinsames Foto ging um die Welt, die Ernennung zum Ehrenbürger war Formsache. Dass Salah aus der Nationalelf zurücktritt, ist laut Funktionären "ein völlig falsches Gerücht".

Die Liste der berühmten Verlierer wird nahezu stündlich erweitert. Mesut Özil, zwar kein echter Weltstar, steht auch schon drauf. Obwohl Deutschland im Bewerb ist, sitzt er auf dem Bankerl. Möglicherweise findet er Trost in Recep Tayyip Erdogans Wahlsieg, diese billige Pointe ist obligatorisch. Am Dienstag könnte es ganz krass werden. Argentiniens Lionel Messi ist akut gefährdet. Sollte es den fünffachen Weltfußballer erwischen, wird er dicke Tränen vergießen, die Schuld aber bei sich selbst suchen. Was von Größe zeugt. (Christian Hackl aus Moskau, 25.6.2018)