Von einer explosiven Mischung aus Machtrausch, verletzter Eitelkeit und panischer Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit bei den in vier Monaten fälligen Landtagswahlen getrieben, spielt die Führungsspitze der bayerischen Regionalpartei CSU mit dem Feuer. Bei dem vordergründig lächerlichen Streit, ob an drei bayrischen Grenzstellen Migranten kontrolliert und gegebenenfalls wieder zurückgeschickt werden sollten, geht es um die Symbolik der politischen Macht. CSU-Chef und deutscher Innenminister Horst Seehofer hatte Kanzlerin Merkel ein Ultimatum mit Zweiwochenfrist gestellt, um eine von ihr vertretene und für Bayern annehmbare EU-weite Lösung zu erreichen. Mit einer "Alleinschuldthese" lassen die bayrischen Scharfmacher, Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Fraktionschef Alexander Dobrindt, die EU und Angela Merkel als ein kombiniertes, perfektes Feindbild erscheinen.

Wenn man beobachtet, wie höhnisch, aggressiv und lustvoll die bayrischen Lokalmatadore die Demontage der Kanzlerin betreiben und wie leichtfertig von historischen Kenntnissen unbelastete Journalisten und machtgierige ausländische Politiker billigen Beifall zum möglichen "Absturz oder schleichenden Hineingleiten in eine weitere europäische Katastrophe" (FAZ) spenden, fällt mir die Geschichte vom dänischen Philosophen Søren Kierkegaard (1813-1851) ein:

In einem Schauspielhaus geschah es, dass die Kulissen Feuer fingen; der Bajazzo trat vor, um das Publikum darüber zu benachrichtigen. Man glaubte, es sei ein Witz, und applaudierte. Er wiederholte die Anzeige: Man jubelte noch lauter. "So, denke ich, wird die Welt unter allgemeinem Jubel witziger Köpfe zugrunde gehen, die da glauben, es sei ein Witz."

Nun, bei der mit großer Lust zum Zerfall der erst seit hundert Tagen tätigen Koalitionsregierung Merkels eingeschlagenen Schockstrategie geht es zwar nicht um den Untergang der Welt, aber doch um viel mehr als bloß um den Kopf der seit 13 Jahren regierenden und von vielen Deutschen vor allem in den neuen Bundesländern mit hysterischer Wut verhassten Regierungschefin. Die Dynamik des alarmierenden Zerfallsprozesses könnte durch die Spaltung der CDU/CSU, durch den Zusammenbruch der Koalitionsregierung mit der SPD und durch den wahrscheinlichen Aufstieg der rechtsradikalen AfD bei Neuwahlen die innenpolitische Stabilität Deutschlands, des bisherigen Sicherheitsankers der EU, zerstören.

Es ist mehr als fraglich, ob Europa die Verrücktheiten der bayrischen Panikmacher überhaupt noch beeinflussen könnte. Orbán und seinesgleichen in Rom, Bratislava und Warschau jubeln. Ihre Philosophie ist einfach: sich abschotten, Geld aus Brüssel kassieren und unbehelligt von den Störenfrieden der in ihren Grundlagen gefährdeten europäischen Zivilgesellschaft die Früchte ihrer Herrschaft genießen.

"Es ist ein entsetzliches Schauspiel, wenn Irrationalität populär wird." Das sagte Thomas Mann 1943 in einem Washingtoner Vortrag. Seine Worte bieten ein treffendes Motto für das bevorstehende Gipfeltreffen der wahren Nutznießer der sich anbahnenden europäischen Tragödie, Trump und Putin. (Paul Lendvai, 25.6.2018)