Als im Frühsommer 2015 die Zahl der Asylwerbenden, die nach Österreich kamen, markant zunahm und monatlich neue Rekordzahlen gemeldet wurden, stand vor allem eine Frage im medialen Fokus: Wie viele Menschen sind gekommen? Wie viele kann und muss Österreich aufnehmen?

Wir wissen heute, dass im Jahr 2015 rund eine Million Menschen in Europa Zuflucht suchten, etwa 88.000 davon in Österreich. Tatsächlich war Österreich nach Deutschland und Schweden eines jener europäischen Länder, in dem die meisten Asylanträge gestellt wurden: Insgesamt entsprechen die rund 88.000 Asylwerbenden knapp einem Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung.

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Flüchtlinge beim Grenzübergang Heiligenkreuz im September 2015.
Foto: AP/Christian Bruna

Was in den Köpfen steckt

Während sich nach Abebben der großen Fluchtbewegung also rasch abzeichnete, wie viele nach Europa gekommen waren, herrschte lange Zeit Unklarheit darüber, wer diese Menschen sind. Um diese Wissenslücke zu schließen, fand sich im Herbst 2015 eine Gruppe von zehn Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen, angesiedelt am Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dem Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und dem International Institute for Applied System Analysis (IIASA).

Getreu dem Anspruch, nicht die Köpfe zu zählen, sondern zu erheben, was in den Köpfen steckt, galt das primäre Interesse dem sogenannten Humankapital: Bildungsabschlüsse, berufliche Qualifikationen und formale Kompetenzen von Geflüchteten, die wesentlich für ihre spätere Integration in den Arbeitsmarkt sind. Außerdem wurden Werte und Einstellungen, die familiäre Situation und Eckdaten zur Fluchtroute der Befragten erhoben.

Gut gebildet, wenig religiös

Die DiPAS-Erhebung ("Displaced Persons in Austria Survey") wurde im November und Dezember 2015 in sieben großen Gemeinschaftsunterkünften in Wien und Umgebung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die Befragten aus den Bürgerkriegsländern Syrien und Irak, verglichen mit der Bevölkerung im jeweiligen Heimatland, gut gebildet sind, wenig traditionelle Wertvorstellungen vertreten und überwiegend aus Familien der Mittelschicht stammen. Auch afghanische Geflüchtete sind deutlich besser gebildet als der Durchschnitt in ihrem Heimatland.

Während zum Beispiel 27 Prozent der Geflüchteten aus Syrien Matura oder einen Uniabschluss besitzen, sind es in ihrem Herkunftsland zehn Prozent, bei den Menschen aus Afghanistan sind es elf Prozent gegenüber drei Prozent in ihrer Heimat (siehe Grafik). In Österreich haben 28 Prozent der Gesamtbevölkerung einen vergleichbar hohen Bildungsabschluss. Während der Anteil hochgebildeter Personen unter Geflüchteten und Österreichern also in etwa gleich hoch ist, liegt der Anteil der Befragten mit geringer Bildung (maximal Volksschulabschluss) weitaus höher als in der österreichischen Bevölkerung (30 Prozent gegenüber zwei Prozent).

Vergleich: Bildungsabschlüsse Geflüchteter und der Menschen in ihren Heimatländern.
Grafik: Dipas

Das allgemeine Bildungsniveau der Befragten spiegelt sich auch in den Werten und Einstellungen der befragten Personen wider, die sich insgesamt als weniger traditionell orientiert einstufen. Verglichen mit den aktuellen Daten des "World Values Survey" zeigten sich die Geflüchteten in Österreich als durchgehend liberaler eingestellt als die Bevölkerung in ihren Heimatländern. Was ihre Religiosität betrifft, sind sie nicht weniger oder mehr religiös als die meisten Österreicher.

Mit der DiPAS-Erhebung zählten die beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu den Ersten in der empirischen Sozialforschung, die die Fluchtbewegung 2015 nach Europa untersucht haben. In der Zwischenzeit wurden aber weitere Individualdaten in Österreich und Nachbarländern erhoben und ausgewertet, die die bildungsspezifischen Erkenntnisse aus DiPAS bestätigen: Wird nach syrischer, irakischer oder afghanischer Herkunft unterschieden, so ist der Anteil der Menschen mit niedriger beziehungsweise mit hoher Bildung ähnlich, teilweise fast ident.

Hohes Integrationspotenzial

Aus dem Fluchtsommer 2015 kann vor allem ein Resümee gezogen werden: Jene Menschen, die in den vergangenen drei Jahren in Österreich Zuflucht gefunden haben, bringen ein hohes Potential für die produktive und qualifizierte Teilnahme an unserer Gesellschaft mit. Das bestätigte jüngst auch eine Studie der Paris School of Economics: Der dauerhafte Aufenthalt von Geflüchteten wirkt sich langfristig positiv auf die Wirtschaft und den Staatshaushalt des Aufnahmelandes aus. Es liegt nun an uns, diese Effekte zu fördern und das Potenzial geflüchteter Menschen rasch, gewinnbringend und nachhaltig zum Einsatz kommen zu lassen. (Isabella Buber-Ennser, Judith Kohlenberger, 27.6.2018)