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Zeiten der politischen Entspannung und der Konsenssuche kennt der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan nicht.

Foto: REUTERS/Osman Orsal

Tayyip Erdoğan geht nicht weg. Viele in Europa mochten auf einen Sieg der türkischen Opposition zumindest im Parlament gehofft haben – als kleines Gegengewicht zum autoritären Staatschef und als sichtbarer Ausdruck einer noch halbwegs funktionierenden Gesellschaft mit Meinungsvielfalt. Selbst dazu reichte es nicht. Erdoğan hat weitere fünf Jahre im Amt bis 2023 vor sich. Erlauben es die Umstände, wird er dann den Prunk und nationalen Rausch des 100. Jahres der türkischen Republik als Sprungbrett für die nächste Amtszeit bis 2028 nutzen. Die Europäer werden den unbequemen Mann nicht los.

Sein schneller Sieg am Wahlsonntag ist gleichwohl nicht einfach nur die Fortsetzung einer beispiellosen, seit 16 Jahren dauernden Erfolgsserie. Das neue Präsidialregime, das Erdoğan nun für sich ausgestaltet, ist auch politisch anders verortet. Es ist ein national-islamistisches Regime, nicht länger eine konservativ-frömmelnde Regierung und schon lange nicht mehr ein muslimisches Pendant zu den christlich-bürgerlich geführten Regierungen in Europa.

Erdoğans Pakt mit den rechtsgerichteten Nationalisten der MHP sichert ihm ein geräuschloses Funktionieren des Parlaments. Ein neues starkes Lager von Ultranationalisten, Islamisten und konservativen Türken ist bei diesen Wahlen entstanden. Die Wahlforscher haben es nicht kommen sehen. Für Europa aber bedeutet dies eine dauerhafte Konfrontation: Die EU muss weit mehr noch als in den vergangenen Jahren mit einer antiwestlichen, nationalistischen und unablässig auf den Islam pochenden Führung in der Türkei umgehen.

Wahlsiege haben Erdoğan dabei noch nie beruhigt. Zeiten der politischen Entspannung und der Konsenssuche kennt der Staatschef nicht – schon gar nicht nach diesem Plebiszit vom Sonntag. Erdoğan wird jetzt den wilden Mann am Bosporus geben.

Den Europäern und Amerikanern wird der türkische Staatschef, frisch gestärkt, die Schuld für alle wirtschaftlichen Probleme und für jede Straßendemonstration in seinem Land geben. Investoren wird er mit einer dirigistischen Wirtschaftspolitik und einem Feldzug gegen hohe Leitzinsen – "die Mutter und der Vater allen Übels" – in Atem halten. Auf der internationalen Bühne, von den alten Mächten im Sicherheitsrat, wird Erdoğan nun erst recht mehr Platz für die Türkei fordern: "Die Welt ist größer als fünf", lautet sein Ausspruch; falsch ist dieser nicht.

Und verlangt sein rechtsgerichteter Verbündeter demnächst die Wiedereinführung der Todesstrafe, wird Erdoğan auch dies tun. Dass er ein entsprechendes Gesetz unterschreiben werde, wenn ihm das Parlament ein solches vorlegt, hat Erdoğan ja bereits öffentlich erklärt.

Die gemeinsame Wertebasis von Erdoğans Türkei und Europa ist dahin. Eine Basis für einen rationalen Dialog ist zunehmend schwer zu finden. Was den Europäern bleibt, sind kühle Interessen: Kooperation mit Ankara in der Flüchtlingsfrage und der Terrorbekämpfung.(Markus Bernath, 25.6.2018)