Die libysche Gesellschaft sei "extrem konservativ" und ohne Erfahrung mit Migration, sagt Joana Daniel-Wrabetz.

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Die libysche Küstenwache in Aktion: Derzeit bringt sie nur Bootsflüchtlinge aus den eigenen Gewässern nach Libyen zurück, doch das könnte sich ändern.

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Wien/Tunis – Bei den Plänen zur Verschärfung des Vorgehens gegen Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen spielt das nordafrikanische Land Libyen eine wichtige Rolle. Menschen, die versuchen, auf der zentralen Mittelmeerroute in Booten nach Europa zu gelangen, sollen nach Libyen zurückgebracht werden und nicht wie bisher meist nach Italien.

Laut der Menschenrechtsexpertin Joana Daniel-Wrabetz ist das "absolut keine gute Idee". Das Land sei "nicht in der Lage, Migranten zurückzunehmen", sagt die in Österreich lebende Portugiesin im Standard -Interview. Das Gespräch fand auf Englisch statt, unter dem Begriff "Migrant" sind auch Menschen mit Fluchtgründen subsumiert.

"Eine Art Kulturschock"

"Die Sicherheitslage in Libyen ist katastrophal, auch für die Libyer selbst. 200.000 Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht, Tausende von ihnen leben in denselben Auffanglagern, unter den gleichen schlimmen Bedingungen wie die Migranten", sagt Daniel-Wrabetz. Auch sei die libysche Gesellschaft "extrem konservativ". Die vielfach aus dem südlichen Afrika Ankommenden hätten in dem muslimischen Land "eine Art Kulturschock ausgelöst – vor allem die Frauen, die vom Standpunkt eines religiösen Libyers halbnackt umhergehen".

Auch habe das Land historisch nur sehr wenig Erfahrung mit Flucht und Migration. Der 2011 getötete Revolutionsführer Muammar al-Ghadaffi habe Gastarbeiter geholt, die Libyen nach Beendigung ihres Jobs aber meist wieder verlassen hätten; dass viele der jetzigen Migranten eines Schutzes bedürften, sei schwer zu vermitteln.

Trainings für IOM

Ihre Einblicke verdankt Daniel-Wrabetz ihrer Tätigkeit als internationale Trainerin in Sachen Menschenrechte mit Schwerpunkt auf dem Erkennen von Opfern des Menschenhandels, die sie bereits in Länder wie Osttimor, Kapverde und Guinea-Bissau geführt hat. 2017 und 2018 wechselte sie jobmäßig nach Tunesien, wo sie im Auftrag der International Organisation for Migration (IOM) in der Hauptstadt Tunis sechs Kurse mit insgesamt 150 Angehörigen der libyschen Küstenwache sowie anderer Behörden und Einrichtungen der von der Uno anerkannten Regierung in Tripolis durchführte.

"Ich habe sie zum Beispiel gefragt, wen unter den Migranten sie als besonders schutzwürdig einschätzen. 'Frauen und Kinder', sagten sie. Dass auch ein Mann, etwa nach Foltererfahrungen, eine vulnerable Person sein kann, war ihnen neu", erzählt die Menschenrechtstrainerin.

Ex-Studenten als Lagermitarbeiter

In ihren Kursen sei sie mit großteils jungen Männern aus bildungsaffinen Kreisen konfrontiert gewesen, die infolge der libyschen Bürgerkriege ihre Ausbildungen hätten unterbrechen müssen. Mangels anderer Einkunftsmöglichkeiten hätten sich die "Studenten der Archäologie oder der Medizin" bei der Küstenwache oder in Flüchtlingslagern der Regierung verdingt.

Über ihre "Darstellung in den internationalen Medien als grausam vorgehende Funktionsträger" seien die Kursteilnehmer "erbittert" gewesen. Denn auch jene, die, etwa in den Lagern, gern Verbesserungen durchgeführt hätten, seien an den Verhältnissen gescheitert: "Es fehlt am Nötigsten. In vielen Lagern grassiert die Krätze, aber die Medikamente reichen nie für alle Insassen. Also sind die dort arbeitenden Libyer gezwungen, auszuwählen, wer die Mittel bekommt und wer nicht".

Probleme mit den Leichen

Ein großes Problem seien auch die Leichen, die aus dem Meer gefischt werden, sowie jene von Menschen, die in den Auffanglagern gestorben sind. Vor einer Beerdigung müssten die Toten identifiziert werden, also lagere man sie in Nebenräumen größere Spitäler – bei vielfach unzureichender Kühlung.

Daniel-Wrabetz' Fazit ist eindeutig: "Es muss alles unternommen werden, um Migranten aus Libyen herauszubekommen", sagt sie. Sogar Auffanglager in anderen Staaten wären besser, "obwohl da ein großes Risiko von Menschenrechtsverletzungen besteht". (Irene Brickner, 26.6.2018)