Für Deutschlands geplante Rückweisungen sind permanente Grenzkontrollen notwendig. Das verstößt aber gegen EU-Recht.

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Bis Ende der Woche hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch Zeit, um eine europäische Lösung in Sachen Flüchtlingsverteilung zu präsentieren. Gelingt das nicht, droht ein Alleingang ihres Innenministers Horst Seehofer (CSU), der dann beginnen will, Schutzsuchende an der Grenze abzuweisen. Das soll in Etappen passieren. Seit vergangener Woche werden verstärkt jene Personen zurückgewiesen, die mit einem Einreiseverbot belegt sind – etwa, weil ihr Asylansuchen bereits abgelehnt wurde. Das waren bis dato zwei Personen.

Andras Szigetvari (Der Standard) und Rainer Nowak (Die Presse) sprechen über die Flüchtlingsproblematik und deren Auswirkungen.
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Mit seiner Ankündigung, die er Dienstagfrüh noch einmal im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" bekräftigte, hat Seehofer ein Beben in der europäischen Politik ausgelöst. Österreich reagierte prompt und kündigte ein ähnliches Vorgehen an. Dabei geschehen Rückweisungen nach Österreich bereits jetzt, wie der STANDARD berichtete. Im Jahr 2016 wurden an der Grenze zu Österreich 15.735 Menschen zurückgewiesen, im Jahr 2017 waren es 7009. Laut dem Wiener Innenministerium hat Österreich heuer bis zum 10. Juni rund 2060 Personen übernommen, nachdem Deutschland die Einreise verweigert hat, und etwa 40 Migranten aufgrund des Rücknahmeabkommens, das seit 1998 mit dem Nachbarland besteht. Hochgerechnet auf das Jahr entspricht das insgesamt 13 Personen pro Tag.

Wird eine Person rückgeführt, weil sich ihre Fingerabdrücke bereits im europäischen System Eurodac befinden, prüft Österreich, ob es ein Dublin-Verfahren einleitet oder den Betroffenen wieder in sein Heimatland zurückbringt.

Kontrollen nur temporär

Experten haben ihre Zweifel, ob das deutsche Vorgehen im Einklang mit EU-Recht steht. Für die Rückweisungen wären nämlich Kontrollen an der EU-Binnengrenze zwischen Deutschland und Österreich notwendig. Ständige Kontrollen verstoßen aber gegen europäisches Recht, worauf die Kommission in der Vergangenheit regelmäßig hingewiesen hat.

Außerdem dürfte Deutschland keine Personen einfach so abweisen, die bereits Familie im Land haben. Auch minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge dürften an der Grenze nicht rückgewiesen werden. Abgewiesen dürften nur Migranten werden, die kein Asylgesuch in Deutschland stellen. Machen sie das doch, muss Deutschland prüfen, welches Land für das Gesuch zuständig ist. Dazu müssten die Asylwerber ins Land gelassen werden. Nur in Ausnahmefällen dürfen Asylanträge an der Grenze oder in Transitzonen geprüft werden. Das macht im Moment nur Ungarn und das auch nur an der EU-Außengrenze zu Serbien.

Aufgrund seiner restriktiven Flüchtlingspolitik hatte Ungarn bereits ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission am Hals. Dass Asylwerber – die ohnehin nur in geringer Zahl ins Land gelassen werden – in Containerdörfern an der Grenze festgehalten werden, ist Brüssel ein Dorn im Auge. Zudem weigerte sich Budapest, die unter den EU-Innenministern vereinbarten Flüchtlingsquoten zu erfüllen. Mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof blitzten Ungarn und die Slowakei ab. Wie Brüssel gegen den deutschen Vorstoß vorgehen wird, ist noch unklar.

Französisch-italienisches Abkommen

Vorbild für Seehofers Vorstoß ist unter anderem ein bilaterales Abkommen zwischen Frankreich und Italien über die Rückführung von Migranten. Das Abkommen trat aber bereits in den 1990er-Jahren – also vor "Dublin" – in Kraft und erlaubt auch nur die Rückweisung von Migranten, die keinen Asylantrag stellen. Alles andere würde gegen EU-Recht verstoßen. Hilfsorganisationen werfen der Regierung in Paris aber vor, eben das zu tun.

Das Abkommen führte zu einem Streit zwischen den beiden Staaten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte der Regierung in Rom widersprochen, dass es noch immer eine Flüchtlingskrise gebe. Italiens Vizeministerpräsident hatte daraufhin erwidert, dass das in Italien sehr wohl der Fall sei. Unter anderem auch, weil Frankreich die Menschen an seiner Grenze abweise.

Beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag soll ein Kompromiss in Sachen Asylpolitik gefunden werden. Dass dieser Realität wird, galt zuletzt als unwahrscheinlich. Dann drohen nationalstaatliche Alleingänge und Deutschland könnte den Anfang machen. (Bianca Blei, 26.6.2018)