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Angela Merkel und Emmanuel Macron legten die "Meseberger Erklärung" vor. Die Kompromisspositionen zur Zukunft der Eurozoneninstitutionen bleiben aber weiterhin zu zaghaft und unvollständig.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

Die Eurozone, und damit auch Österreich, erfreut sich seit Monaten relativ sonniger wirtschaftlicher Aussichten: Wichtige makroökonomische Kennzahlen entwickeln sich positiv; die Nachfrage nach Gütern im Inland und Ausland steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Jedoch verhält es sich mit der Konjunktur ähnlich wie mit dem Wetter: Auf jedes Hoch folgt irgendwann ein Tief; und jene Indikatoren, die zukünftige Entwicklungen abbilden, deuteten in den letzten Wochen vermehrt auf die Möglichkeit einer baldigen wirtschaftlichen Abkühlung.

Bevor die Weltwirtschaft 2008 in eine mehrjährige Krise abrutschte, war die Eurozone eine Schönwetterunion. Sie ist es teilweise immer noch; ihre nach wie vor mangelhafte institutionelle Architektur macht einen Unwetterumschwung zudem wahrscheinlicher. Die letzten Monate wurden bislang nicht genützt, um wichtige bestehende Planungsfehler zu beheben und das durch die Krise entstandene Flickwerk an Institutionen in ein tragfähiges Eurozonengesamtreformwerk zu gießen.

Europa en Marche?

Arbeitslosigkeit und Einkommensunterschiede in weiten Teilen des Euroraumes bleiben trotz Aufschwungs hoch. Die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Macron zielen darauf ab, die Divergenz zwischen reicheren und ärmeren Regionen auszugleichen, bestehende institutionelle Mängel zu beheben, und in französischer Tradition mehr budgetäre Entscheidungsmacht zentral zu bündeln. Konkrete Vorschläge beinhalten etwa eine Rückversicherung gegen Arbeitslosigkeit, in die Staaten einzahlen und im Falle einer Rezession Anspruch auf finanzielle Mittel haben, sowie die Errichtung eines substanziellen Eurozonenbudgets (mitsamt Eurozonenfinanzminister).

Diese Vorgehensweise macht makroökonomisch grundsätzlich Sinn: Derzeit stellen viele Staaten ihre Nationalinteressen über das Gemeinwohl der Eurozone. Wenn ein Land in die Krise schlittert, werden die Länder sogleich angehalten, sich selbst durch staatliche Sparpolitik und sogenannte "Strukturreformen" aus der Krise zu schrumpfen. Die Erfahrungen mit der europäischen Krisenpolitik seit 2010 haben jedoch gezeigt, dass eine fiskal- und strukturpolitische Rosskur krisenverschärfend wirkt und panikartige Spekulationen gegen einzelne Länder an den Finanzmärkten ohnehin nicht zu unterbinden vermag.

Weitgehend enttäuschend

Lange Zeit gab es kaum Konsens für eine Reform der Eurozoneninstitutionen zwischen Deutschland und Frankreich. Zuletzt präsentierten Merkel und Macron jedoch in der "Meseberger Erklärung" eine gemeinsame Position, die ab 2021 auch die Errichtung eines Eurozonenhaushalts im Rahmen des EU-Budgets, das Bekenntnis zur Erforderlichkeit der Errichtung einer Investitionsstabilisierungsfunktion auf europäischer Ebene, weitere Maßnahmen im Bereich der Bankenunion und Vorschläge zum Aufbau eines "Europäischen Währungsfonds" mit kurzfristigen Notfallkreditlinien beinhaltet.

Diese Vorschläge können in politischer Hinsicht zwar als ein erster Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden; sie müssen angesichts der ursprünglich deutlich ambitionierteren französischen Vorschläge jedoch weitgehend enttäuschen: Der Investitionshaushalt soll sich laut den Erklärungen Merkels maximal im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich bewegen, was zu wenig für eine echte Stabilisierungsfunktion wäre. Zudem sollen alle zur Risikoteilung zwischen den Eurozonenländern verwendeten neuen Instrumente – zum Beispiel die Stabilisierungsfunktion – unter nationaler Kontrolle bleiben, während die Überwachungsinstrumente technokratischen Organen überlassen bleiben sollen. Dies würde auf Sicht zu neuen Kompetenzreibereien führen und das demokratische Defizit der europäischen Governance-Strukturen weiter verschärfen.

In wesentlichen Bereichen – gemeinsame Schuldenaufnahme, Einrichtung eines Eurozonenfinanzministeriums mit demokratisch verantwortlichem Finanzminister, Reform kontraproduktiver weil krisenverschärfender Fiskalregeln et cetera – hat sich Deutschland weiterhin nicht bewegt. Obwohl der Meseberger Kompromiss weitgehend mit der deutschen Position übereinstimmt, protestierten zwölf EU-Staaten in einem Brief im Vorfeld des am Freitag beginnenden EU-Gipfels, bei dem es auch um die Reform der Währungsunion gehen soll, bereits gegen die deutsch-französische Position, indem sie sich gegen die Einrichtung eines Eurozonen-Budgets stellten; auch Österreich unterschrieb den vom niederländischen Finanzminister veröffentlichten Brief.

Mehr Europa, weniger Krise

Der Block rund um Deutschland, Österreich, die Niederlande und einige weitere "nördliche" Euroländer verhält sich seit Jahren widersprüchlich: Einerseits werden von anderen Währungspartnerländern gebetsmühlenartig "Reformhausaufgaben" eingefordert, obwohl gerade die pflichtbewusste Umsetzung etlicher solcher Maßnahmen – zum Beispiel Abbau von Kündigungsschutz und Dezentralisierung von Lohnverhandlungen; Kürzung von Sozialausgaben – in Ländern wie Griechenland, Portugal und Italien die wirtschaftliche Situation nachweislich verschlechtert hat. Andererseits ist der Block rund um Deutschland nur sehr eingeschränkt bereit, die nationale Lohn- und Budgetpolitik auf einen Abbau von problematischen Exportüberschüssen auszurichten.

Die Eurozone benötigt jedoch dringend ein neues Fundament, welches dem fortschreitenden Auseinanderdriften der Einkommen zwischen den Eurozonenländern entgegenwirkt: Ein Investitionsbudget in symbolischer Höhe wie in den aktuell diskutierten Vorschlägen ist dafür unzureichend. Wenn es nicht gelingt, in Italien und anderen Peripherieländern die Arbeitslosigkeit zu senken und die Zukunftsaussichten zu verbessern, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Eurozone an ihren Konstruktionsfehlern zerbricht. Was es bräuchte, sind neue Ansätze für eine europäische Strategie in der Lohn-, Fiskal- und Industriepolitik, die das wirtschaftliche Zusammenwachsen im Euroraum vorantreiben.

Zaghaft und unvollständig

Wenn sich in integrierten Wirtschaftsräumen wie der Eurozone einzelne Mitgliedsländer die Rosinen in Form von höheren Absatzmärkten und Wachstumsraten herauspicken, ohne in schlechten Zeiten zum wirtschaftlichen Ausgleich beizutragen, dann wird das Gesamtsystem von einer Krise in die nächste schlittern. Die Eurokrisenkosten mögen bis dato verkraftbar gewesen sein, sie könnten jedoch im Falle einer wieder aufflammenden Italienkrise schnell schmerzlich groß werden. Deutschland hat zuletzt einen ersten Schritt in Richtung Frankreich gemacht, doch auch Österreich und die Niederlande wären gut beraten, sich konstruktiv an der Reform der Eurozoneninstitutionen zu beteiligen und sich nicht mit der weitreichenden Ablehnung von Reformvorschlägen zu begnügen, die auf eine verstärkte Integration abzielen.

Die jüngst präsentierten Euroreformpositionen im Rahmen der "Meseberger Erklärung" Deutschlands und Frankreichs mögen ein erster politischer Schritt in die richtige Richtung gewesen sein: Zumindest erkennt diese im Prinzip an, dass eine Eurozonen-weite Fiskalpolitik eine wichtige Rolle in den Bereichen Investitionen und wirtschaftliche Stabilisierung spielen müsste. Die aktuellen Kompromisspositionen zur Zukunft der Eurozoneninstitutionen bleiben aber weiterhin zu zaghaft und unvollständig, vor allem im Bereich der Risiko- und Lastenteilung zwischen den Eurozonenländern; ihre Umsetzung reichte nicht aus, um den Euroraum institutionell zu stabilisieren sowie den Fortbestand der gemeinsamen Währung und, was entscheidend ist, den wirtschaftlichen Wohlstand aller Euroländer zu sichern. (Philipp Heimberger, Armon Rezai, 27.6.2018)