Die sogenannte Gen-Schere CRISPR/Cas9 weckt Hoffnungen. Mithilfe der noch jungen Technik lassen sich gezielt einzelne Erbgutbausteine austauschen und defekte Gene reparieren, sodass bisher unheilbare Krankheiten in Zukunft kuriert werden könnten. Doch nun zeigen zwei unabhängige Studien, dass mit Nebenwirkungen gerechnet werden muss: Zellen, die im Experiment erfolgreich behandelt wurden, könnten ein erhöhtes Risiko haben, sich unkontrolliert zu teilen, also Krebs auszulösen.

Die Ergebnisse der Forscher des Karolinska-Instituts in Stockholm und des Novartis-Forschungsinstituts in Boston wurden im Fachblatt "Nature Medicine" veröffentlicht. Sie sorgten weltweit für Schlagzeilen, und die Aktienkurse jener Firmen, die auf CRISPR als Wunderwerkzeug setzen, sanken umgehend.

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CRISPR kann in der DNA aktiv werden und beide Fäden durchschneiden. Ziel: fehlerhafte DNA-Stücke zu entfernen und gesunde Genkopien einzusetzen.
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"Der Medienwirbel ist übertrieben", sagt der Molekularbiologe Jacob Corn, der momentan noch an der Berkeley-Universität forscht und ab Oktober die Professur für Genombiologie an der ETH Zürich antritt, "aber die Studien sind wichtig, weil sie jeden daran erinnern, dass Genome-Editing nichts mit Magie zu tun hat."

So nutzen Forscher beim Editieren von Genen bewusst die DNA-Reparaturmaschinerie der Zellen: DNA besteht aus zwei fadenförmigen Molekülen, die sogenannte Doppelhelix. CRISPR schneidet beide Fäden durch, was Biologen als Doppelstrangbruch bezeichnen, mit dem Ziel, fehlerhafte DNA-Stücke zu entfernen oder gesunde Genkopien einzusetzen. Das Kitten der Bruchstellen übernimmt das zelleigene Reparatursystem: Da Umweltfaktoren wie UV-Licht oder Tabakrauch die DNA immer wieder schädigen, muss sie ja oft repariert werden.

Alarm in der Zelle

Ein Bruch in der DNA-Struktur löst in der Zelle also Alarm aus und aktiviert das Protein p53, dem quasi die Rolle der Feuerwehr zukommt: Bei kleinen Schäden sorgt p53 für die Reparatur der schadhaften Stelle, bei irreparablen Schäden am Erbgut leitet es den Zelltod ein. Auf diese Weise wird verhindert, dass fehlerhafte Erbinformation bei der Zellteilung weitergegeben wird.

Erklärvideo von Open Science: So funktioniert CRISPR/Cas9
Open Science - Lebenswissenschaften im Dialog

"p53 wird deswegen auch als Wächter des Genoms bezeichnet", erklärt Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Allerdings erschwert die Feuerwehrfunktion von p53 die Arbeit der Gen-Schere erheblich. Das berichten die Forschergruppen aus Schweden und den USA unabhängig voneinander. Ihre Versuche, defekte Gene mittels Gen-Schere zu reparieren, scheiterten vielfach.

Als sie jedoch die p53-Funktion künstlich stilllegten, ließen sich die Gene via Gen-Schere viel besser reparieren. "Es ist plausibel, dass Zellen ohne funktionales p53 besonders leicht editierbar sind. Aber auch problematisch, weil diese Zellen auch anfälliger für weitere genetische Defekte und für die Entstehung von Krebs sind", sagt Bock.

Erhöhtes Risiko

Auch die Studienautoren sehen in dem Zusammenhang eine potenzielle Gefahr: Wählt man in einem Genome-Editing-Experiment jene Zellen aus, die erfolgreich editiert wurden, reichert man unter Umständen jene Zellen an, deren p53-Funktion gestört ist. Was fatal sein könnte: "Überträgt man solche Zellen in einer Gentherapie in Patienten, könnten sie das Krebsrisiko erhöhen", sagt Emma Haapaniemi, Erstautorin der Karolinska-Studie.

CeMM-Forscher Christoph Bock (re. im Bild mit CeMM-Direktor Giulio Superti-Furga) sagt, bei sorgfältiger genetischer Prüfung editierter Zellen sollte das Krebsrisiko weitgehend ausgeschlossen sein

Denn Zellen mit defekter "Feuerwehr" sammeln DNA-Schäden an, die zu Krebs führen können. So ist p53 das am häufigsten mutierte Gen bei menschlichen Krebserkrankungen: Rund die Hälfte aller Eierstock- und Enddarmkrebsfälle, rund ein Drittel aller Lungen-, Magen- und Leberkrebsfälle und ein Viertel aller Brustkrebsfälle gehen mit einem defekten p53-Protein einher.

Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Gentherapie der Universität Freiburg im Breisgau, findet die Studienergebnisse "weder überraschend noch alarmierend". Auch Corn sieht keinen Grund zur Sorge: "Unterschiedliche Zelltypen reagieren unterschiedlich empfindlich auf DNA-Schäden, und die in den beiden Studien verwendeten Zellmodelle sind offenbar besonders sensibel. In unserem Zellmodell haben wir nur geringe p53-Effekte gefunden."

Die Studienergebnisse sind insofern vorläufig, als die in den beiden Untersuchungen genutzten Zelltypen nicht für den Einsatz am Patienten gedacht sind. "Wir müssen abwarten, ob diese starke Aktivierung von p53 auch in klinisch relevanten Zelltypen zu beobachten sein wird", sagt Cathomen.

Bisher keine Warnsignale

Alle bisher zu CRISPR veröffentlichten Daten haben keine Anhaltspunkte für ein erhöhtes Krebsrisiko gezeigt: "Es wurden bereits viele Zelltypen und auch Tiere mit CRISPR behandelt. Ich und viele andere Kollegen haben auch auf Zellwachstumseffekte geachtet und keine Warnsignale gefunden", meint Corn, was nicht bedeute, dass es keine Nebenwirkungen geben wird: "Die gibt es bei jeder Therapie, Genome-Editing wird dabei keine Ausnahme sein."

Schon bald wird es mehr Erfahrungen mit den möglichen Nebenwirkungen der Gen-Schere außerhalb des Labors geben: In China und den USA sind erste klinische Studien angelaufen und weitere geplant. So strebt CRISPR Therapeutics eine klinische Studie mit CRISPR/Cas9 an, die noch 2018 starten soll. Im Fokus stehen Blutkrankheiten wie die Thalassämie und die Sichelzellanämie, die zu einer Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff führen.

"Wenn aus diesen Studien die richtigen Schlüsse gezogen und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden, etwa die sorgfältige genetische Prüfung von editierten Zellen vor der Injektion in den Körper, dann ist ein erhöhtes Krebsrisiko von CRISPR-Therapien weitgehend ausgeschlossen", sagt Bock.

Auch Jussi Taipale, Mitautor der schwedischen Studie, betont: "Wir sagen nicht, dass CRISPR/Cas9 gefährlich ist, das wird sicher ein Hauptwerkzeug der Medizin werden. Umso wichtiger ist es, auf Sicherheit zu achten." (Juliette Irmer, 1.7.2018)