Hans-Peter Weingand (Hg.): "Der unbekannte Peter Rosegger." 19,- Euro / 248 Seiten. Clio, Graz 2018

Foto: Clio Graz

Die Sorge um den Erwerb geht der Sorge um die Kinder so häufig vor. Kinder von Dienstboten haben es selbstverständlich noch schlechter, als solche der Hausbesitzer. Zur Sommerzeit werden die kleinen, oft erst wenige Monate alten Creaturen mit in's Freie genommen und unter einen Baum oder auch in die Sonne in's Gras gelegt, während die Leute ihrer Arbeit nachgehen und sich oft stundenlang um das Kind nicht kümmern. Oder die Wickelkinder werden zu Hause halbe Tage lang allein sich selbst überlassen, in die Wiege gebunden, in allem Unrathe liegend, in dumpfen, nie gelüfteten Stuben.

Peter Roseggers "Anklage in Bezug auf die Kinderpflege der Aelpler" erschien erstmals 1878 in seiner Monatsschrift "Der Heimgarten", 140 Jahre später findet man sie wieder in Hans-Peter Weingands Text- und Dokumentensammlung "Der unbekannte Peter Rosegger", erschienen beim Grazer Clio-Verlag, der sich vornehmlich mit kritischer Zeitgeschichte, also mit gerne und lange Verdrängtem beschäftigt. Weingand hat bei seinem Studium von Originalquellen, Handschriften und nicht bzw. selten Publiziertem jene Dokumente ausgewählt, über die sonst kaum geredet oder geschrieben wird.

Dichterfürst oder Heimatverklärer

Zweifellos war der zum erfolgreichen Schriftsteller aufgestiegene Sohn eines analphabetischen Bauernpaares aus Alpl eine äußerst facettenreiche Persönlichkeit. Ein alpenländischer Dichterfürst für die einen, kritischer Aufklärer und Humanist, deutschnationaler Antisemit oder sentimentaler Heimatverklärer für andere. Statt alter oder neuer Zuschreibungen liefert Weingand weitgehend unbekanntes Material zum Selberentdecken des steirischen Dichters jenseits tradierter Mythen, Klischees und gängiger Heimatgeschichten.

In einem Kapitel zeichnet Weingand etwa den bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufstieg Roseggers vom Stipendiaten zum äußerst gut bezahlten Autor nach. So geht aus Peter Roseggers Buchhaltung hervor, dass seine Einnahmen ab 1893 die Einkünfte eines Spitzenbeamten bereits um ein Vielfaches übertrafen. Umgerechnet in heutige Kaufkraft verdiente er nach Weingands Berechnungen bis kurz vor seinem Tod vor 100 Jahren am 26. Juni 1918 durchschnittlich 265.000 Euro im Jahr – wenn auch mit beträchtlichen Schwankungen.

Auch zur Frage von Roseggers Antisemitismus wird man sich nach der Lektüre ausgewählter Briefe und Artikel ein differenziertes eigenes Bild machen können. So schrieb er beispielsweise 1889 an einen Freund: "Ich lasse den Antisemitismus gelten aus politischen Gründen, aus Notwehr, aus Leidenschaft; bäumt sich doch auch meine eigene Natur auf gegen jüdisches Wesen – aber ein sittliches Ideal darf man nicht machen aus solchem Antisemitismus! 'Aus Menschenliebe, aus Christentum' die Juden zu verfolgen, das ist eine ganz niedere Heuchelei, die heute von den Massen geübt wird."

Mythen und Stilisierungen

1913 wurde Rosegger übrigens für den Nobelpreis nominiert. Ob er ihn tatsächlich nur deshalb nicht bekommen hat, weil tschechische Kreise in Stockholm gegen ihn – der sich für deutsche Schulen in den gemischtsprachigen Gebieten von Böhmen und Mähren engagierte – interveniert haben?

Weingand hat die Stockholmer Dokumente samt Telegrammen für und gegen Rosegger an das Nobelpreiskomitee durchforstet, um den Mythos von der tschechisch-jüdischen Verschwörung mit historischen Fakten zu konfrontieren.

Insgesamt räumen die von Weingand ausgegrabenen Dokumente mit einer ganzen Reihe alter Rosegger-Mythen auf und machen einen kritischen, äußerst erfolgreichen und auch widersprüchlichen Menschen sichtbar, der hinter den diversen Stilisierungen und Vereinnahmungen meist nur verzerrt wahrgenommen wird. (Doris Griesser, 28.6.2018)