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Fernsehen bei der Fußball-Weltmeisterschaft.

Foto: REUTERS/Mariana Bazo

Moskau – Die Fifa hat den Tag vor dem Abend gelobt. War die WM-Premiere des Videobeweises in den ersten Spielen überraschend gut gelaufen und nur selten Anlass für Diskussionen gewesen, ging der Stresstest zu Beginn der entscheidenden Vorrundenphase ordentlich schief. Die Schiedsrichterteams verloren die klare Linie der ersten eineinhalb Wochen. Und schon hatte der beispielsweise in der deutschen Bundesliga bestens bekannte Ärger endgültig die WM-Bühne erreicht.

Erklärvideo: So funktioniert der Videobeweis.
DER STANDARD

So steigerte sich Irans portugiesischer Trainer Carlos Queiroz nach dem Spiel gegen Portugal (1:1) in eine minutenlange Wutrede hinein. "Ich habe zwanzig Jahre für dieses System gekämpft, aber jetzt gehe ich frustriert nach Hause", sagte der Coach, der vor allem die fehlende Transparenz kritisierte. "Ich muss wissen, wer die Entscheidungen trifft, wer das Spiel leitet. Es muss Klarheit herrschen. Ich will ja auch wissen, ob ich Großvater werde oder nicht. Und nicht, dass meine Tochter ein bisschen schwanger ist."

Die Gründe für den Frust von Queiroz liegen klar auf der Hand. Die Referees machten in Koproduktion mit den Videoassistenten in den Spielen zwischen Iran und Portugal sowie Saudi-Arabien und Ägypten (2:1) etliche Fehler, die bei der WM bereits ausgemerzt schienen. Zu viele Szenen wurden überprüft, die Diskussion über die richtige Entscheidung dauerte oft zu lange, die Zuschauer wurden im Unklaren gelassen – und am Ende standen höchst zweifelhafte Entscheidungen.

"Extrem zufrieden mit der erfolgreichen Einführung"

All das war in der ersten Turnierphase so gut wie nicht vorgekommen, weil meistens nur klare Fehler noch einmal unter die Lupe genommen wurden – genau wie es die Schiedsrichterbosse der Fifa vorgegeben hatten. Deshalb hatte der Weltverband vor den letzten Vorrundenspieltagen bereits gejubelt. Die Fifa ließ wissen, sie sei "extrem zufrieden mit der erfolgreichen Einführung des Videobeweises". Und: "Der Videobeweis wurde positiv aufgenommen und wird in unserer Fußballgemeinschaft geschätzt."

Ein klassischer Fall von zu früh gefreut. Sollten einige Mitglieder dieser Fußballgemeinschaft in den vergangenen Tagen der Vorrunde ähnlich meckern wie Queiroz, dürfte es bei der Pressekonferenz der Schiedsrichterverantwortlichen am Freitag in Moskau ungemütlich für Fifa-Direktor Massimo Busacca und Kommissionschef Pierluigi Collina werden.

Auch auf Fragen zum Zusammenhang zwischen der Elfmeterflut und dem Videobeweis müssen die Refereebosse vorbereitet sein. Schließlich wurden nach 36 von 64 Spielen schon 20 Strafstöße gepfiffen – siebenmal nach Videobeweis. Der bisherige Elfmeterrekord einer gesamten Endrunde lag bei 18. Für Chefkritiker Gary Lineker ist jedenfalls klar, dass die Unparteiischen mit der Sicherheit des technischen Hilfsmittels im Rücken schneller auf den Punkt zeigen.

In den verfrühten Jubel wollte der DFB nicht einstimmen

Die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verhielt sich beim Thema Videobeweis cleverer als die Fifa. In den verfrühten Jubel wollte der DFB nicht einstimmen. "Für ein Fazit ist es noch zu früh", hatte der zuständige DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann gesagt. "Nach dem Ende der WM werden wir uns ausführlich auf allen Ebenen mit den Ergebnissen beschäftigen."

Mag sein, die Zurückhaltung der Deutschen ist auch insofern verständlich, als sie nicht darauf aufmerksam machen wollen, dass sie selbst im Spiel gegen Schweden von einer der augenscheinlichsten Fehlentscheidungen bei dieser WM profitierten. Als der deutsche Verteidiger Boateng den schwedischen Stürmer Berg bereits in der 13. Minute beim Stand von 0:0 augenscheinlich elfmeter- und ausschlussreif foulte, wurde – völlig unverständlicherweise – der Videobeweis erst gar nicht hinzugezogen.

Vor vier Jahren, bei der WM in Brasilien, gab es den Videobeweis noch nicht, als Deutschland auf dem Weg zum Titel ebenfalls Glück hatte, dass ein Elfmeterpfiff ausfiel – das allerdings erst im Finale. Da war der deutsche Torhüter Manuel Neuer den argentinischen Stürmer Gonzalo Higuain nach einer knappen Stunde beim Stand von 0:0 derart rustikal angesprungen, dass es auch nach Ansicht deutscher Referees Elfmeter hätte geben müssen. (sid, fri, 26.6.2018)