Linkskandidat und Favorit bei den Präsidentenwahlen in Mexiko: Andrés Manuel López Obrador, auch bekannt als Amlo.

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Ofelia Teloxa ist mit ihrer Tochter gekommen und hat auch ihre 80-jährige Mutter im Rollstuhl mitgebracht. Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel auf das Areal im zentralmexikanischen Zacatelco, das sonst die Liegewiese eines Freibads ist. Sie erwarten den führenden Bewerber um die Präsidentschaft Mexikos, Andrés Manuel López Obrador. "Er ist der Einzige, der zu uns kommt. Wir lieben ihn. Er ist aufrichtig, hat eine harte Hand und kennt die Sorgen des Volkes", begründet die 53-Jährige ihre Vorliebe für López Obrador. Als der rüstige 64-Jährige mit dem silbernen Haarschopf auftaucht, bricht Jubelgeschrei los, ganz so, als klettere ein Showstar auf die Bühne.

Seit zwölf Jahren bereist López Obrador Mexiko, er rühmt sich, schon in jeder Ecke gewesen zu sein. Für viele ist er der Erlöser. Und "Amlo", wie er im Volksmund genannt wird, enttäuscht sein Publikum nicht. Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt verspricht eine "friedliche Revolution", sagt dem "korrupten Machtkartell" den Kampf an, das das zweitbevölkerungsreichste Land Lateinamerikas ausblute. Er verspricht Stipendien und bessere Pensionen, so wie er sie zuvor in der Hauptstadt auch umgesetzt hat. Den Bauern stellt er direkte Subventionen und weniger konkurrierende Importe in Aussicht, den Lehrern will er mehr bezahlen, Hospitäler besser ausstatten.

Hoffnung im dritten Anlauf

Finanzieren werde er das, indem er die Löhne und Privilegien "der da oben" kürze, "angefangen bei meinem Präsidentengehalt, das ich halbieren werde", kündigt Amlo an. Es kratzt ihn nicht, dass seine Gegner ihn als Populisten abtun, die Finanzierbarkeit seines Programms in Zweifel ziehen oder dass seine Kandidatenlisten vor korrupten Überläufern anderer Parteien nur so strotzen. "Diese Wahl ist ein Plebiszit gegen die katastrophale Politik seiner Vorgänger", sagt der Schriftsteller Jorge Volpi. Umfragen sagen Amlo am 1. Juli einen deutlichen Sieg voraus – womit Mexiko gegen den Trend wählen würde, da in Lateinamerika das politische Pendel wieder nach rechts ausschlägt.

Seine Versprechen sind nicht neu: Schon 2006 und 2012 trat Amlo mit ähnlichen an und wurde zweimal knapp geschlagen – einmal vom Konservativen Felipe Calderón, der den Krieg gegen Mexikos Drogenkartelle anzettelte, und dann von Enrique Peña Nieto (PRI), dessen Amtszeit von Korruptionsskandalen überschattet war. Mexikos Wirtschaft wuchs in diesen zwölf Jahren um jährlich durchschnittlich 2,2 Prozent, das Land industrialisierte sich und entwickelte sich zum viertgrößten Automobilexporteur weltweit.

Mordrate verdoppelt

Dank der Ausweitung der Konsumentenkredite etablierte sich eine Mittelschicht mit Ansprüchen. Doch gleichzeitig verdoppelte sich die Mordrate, allein in diesem Wahlkampf wurden bereits über 120 Politiker getötet. Zudem fielen wegen der hohen Inflation die Reallöhne, die Armutsrate verharrt auf 36 Prozent. Teloxa, die ihre Hoffnung auf Amlo setzt, muss für ihre Mutter oft tagelang um Arzttermine und Medikamente anstehen. Ihr Mann hat ein Leben lang in einer Textilfabrik für einen Hungerlohn geschuftet und eine magere Pension in Aussicht.

Ihrer Tochter hat Teloxa eine Ausbildung zur Krankenschwester finanziert, trotzdem findet sie keine feste Anstellung. Rund die Hälfte der mexikanischen Arbeitnehmer ist informell tätig. Den vielen Frust, der sich im Land angestaut hat, spricht Amlo aus.

Und dann heißt die von ihm gegründete Partei auch noch "Bewegung zur nationalen Erneuerung", kurz Morena (dunkelhäutig), ein Seitenhieb auf den mexikanischen Rassismus. Zugute kommt dem studierten Politologen, dass er trotz seiner langen Karriere in der Politik bis heute einen eher einfachen Lebensstil pflegt, der ihn von der neureich-prahlerischen Politikerkaste abhebt. Amlo verkörpert den Rächer der Abgehängten in einem Land tiefer sozialer Gegensätze.

Von der Moderne abgehängt

Der Weg nach Zacatelco verdeutlicht die Widersprüche des Schwellenlandes. Die kürzlich erbaute mautpflichtige Schnellstraße hat zwar eine Abfahrt Zacatelco – aber die mündet in eine Schotterpiste, die ihrerseits in eine Ansammlung von unverputzten Häusern übergeht. Zacatelco ist von der Moderne abgehängt, lebt von der Subsistenz-Landwirtschaft und von den Überresten einer Textilindustrie, die billig und umweltschädlich Markenpiraterie für den heimischen Markt produziert. Andere Einnahmequellen sind der Frauenhandel und das Anzapfen der Ölpipelines des staatlichen Erdölkonzerns.

Nur 20 Autominuten entfernt, in Puebla, liegt der Volkswagen-Konzern, der hier vor einem halben Jahrhundert mit der Produktion begann. Die 14.000 Angestellten gehören zur wirtschaftlichen Elite, die moderne Shoppingmalls und gute Restaurants besucht – auch wenn sie nur ein Zehntel des Gehalts eines Industriearbeiters in den USA verdienen. (Sandra Weiss aus Zacatelco, 27.6.2018)