"La Mur" soll ruhiger werden und die Menschen in Graz ans Wasser locken.

Foto: Stadt graz

Graz – Die Schiffahrt soll an die Mur zurückkehren. Mit dieser Meldung sorgten der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) und sein Vize Mario Eustacchio (FPÖ) am Dienstag für Aufsehen. Vor allem, weil sich kein lebender Bürger an eine Schifffahrt in der Stadt erinnern kann. Die Blüte einer solchen war in der Steiermark im 16. Jahrhundert, als man auf Schiffen und Flößen Holz und Salz von Bruck nach Graz und sogar bis ins südliche Radkersburg brachte. In Graz selbst gab es zuletzt im 19. Jahrhundert Passagierdampfer.

Seemannschor ohne Seemänner

Zwar gibt es den stimmgewaltigen Seemannschor Admiral Tegetthoff in der Stadt, der überparteilich und interkonfessionell maritime Lieder der Weltmeere singt – Seemänner mit Hauptwohnsitz in Graz sucht man aber vergebens. Es sei denn, man lässt die Mitglieder der Kajak- und Kanu-Clubs gelten. Das hat einen Grund: Der muntere kleine Fluss ist an manchen Stellen wild wie ein Gebirgsbach.

Ein Chor, der in Graz bisher auf dem Trockenen seine Lieder sang: Die Männer vom Seemannschor Admiral Tegetthoff könnten bald auch auf dem Wasser singen.
Foto: Seemannschor Admiral Tegetthoff

Doch das soll alles anders werden. "La Mur", wie die Grazer ihr Gewässer auch nennen, wird angeblich ruhiger und tiefer. Denn im Zuge der Bauarbeiten für das umstrittene Kraftwerk im Bezirk Puntigam, gegen das Umweltschutzorganisationen seit Jahren Sturm laufen, werden die Flussufer innerhalb der Stadt vollkommen umgestaltet. Was sich konkret alles ändern soll, präsentierten Nagl und Eustacchio nun in 18 Punkten. Kosten sollen sie sechs bis sieben Millionen Euro – und sie sollen schon in der nächsten Gemeinderatssitzung am 5. Juli beschlossen werden.

Fünf Buchten und zwei Schiffe

Die spektakulärsten Neuerungen unter den Plänen: Die Stadt soll fünf Buchten und eine Schiffslinie erhalten. Die geplanten Stationen: am Kunsthaus, beim Marburger Kai, beim Augarten, wo ein Strand geschaffen und der bestehende Spielplatz adaptiert werden soll, am Grünanger und bei der Pichlergasse beim neuen Kraftwerkspark, der dort entstehen soll. Dafür will die Stadt zwei E-Boote anschaffen, die rund 70 Passagiere transportieren können. Auch eine Insel mit Liegewiesen soll in der Mur entstehen. Ob die Schiffslinie privat betrieben werde oder Teil des öffentlichen Verkehrs der Stadt wird, sei noch nicht entschieden, heißt es seitens der Koalition.

Das ist insofern interessant, als die Verkehrsstadträtin von Graz, Elke Kahr (KPÖ), nichts von alledem wusste. Ob man nicht mit ihr gesprochen habe? "Natürlich nicht", sagt Kahr auf STANDARD-Nachfrage. Die Stadträtin war bekanntlich vor der vorgezogenen Wahl 2017 Vizebürgermeisterin, konnte sich aber nicht für Nagls Kraftwerksprojekt erwärmen, weshalb der Bürgermeister die Koalition aufkündigte und nach der Wahl, aus der die Kommunisten als Zweitplatzierte hervorgingen, lieber mit der drittplatzierten FPÖ seine "Agenda 22" schmiedete.

Verkehrsstadträtin Kahr: "Hanebüchene Touristenattraktion"

Kahr ist über die geplanten Schiffslinien mehr als verwundert. "Was soll das bringen, außer eine weitere hanebüchene Attraktion für Touristen?", fragt sie: "Die Leute, die hier leben, müssen von A nach B kommen und nicht am Fluss auf und ab fahren." Vor allem die ungelöste Frage der Einpendler der Stadt mit ihren 300.000 Einwohnern bliebe ungelöst: "Sollen die vielleicht am Grünanger zwischen den Holzhäusern ihre Autos parken und dann mit dem Boot zur Arbeit fahren?"

Dass das Stück schon am 5. Juli durch den Gemeinderat soll, wo Schwarz-Blau eine knappe Mehrheit hat, sei "typisch", so Kahr: "Sie peitschen ihre Agenda durch, die anderen Parteien in der Stadtregierung und deren Wähler sind ihnen egal." Ein weiterer irritierender Punkt ist für Kahr die fehlende Bürgerbeteiligung: "Mittlerweile wird bei jedem Bebauungsplan die Anrainerschaft eingebunden und bei solchen weitreichenden Veränderungen nicht."

Oxford und Cambridge an der Mur

Zweifel, die im krassen Widerspruch zu den euphorischen Beschreibungen – etwa zum geplanten Wassersportpark bei der Puchmühle samt Kajakwalze – des Bürgermeisters auf der Homepage der Stadt stehen: "Ich habe schon immer davon geträumt, dass unsere Unis auf der Mur ein Wettrennen gegeneinander durchführen. So wie Oxford und Cambridge in England. Das wird schon nächstes Jahr Realität werden", wird Nagl da zitiert, räumt aber auch ein: "Wir als Regierung werden leider kein Team zu diesem Ereignis entsenden. Bei uns rudern ja leider nicht immer alle in die gleiche Richtung."

Die derzeitigen Surfwellen in der Mur bei der Radetzky- und der Hauptbrücke werden durch den künftig langsam fließenden Fluss verschwinden, sollen aber bei der Murinsel einen Ersatz bekommen.

Die letzte Fahrt der "Styria"

"Sicher gibt es viele reizvolle Vorstellungen, und uns fallen auch lustige Dinge ein, wenn wir beieinandersitzen", sagt Kahr: "Aber wir schwimmen nicht im Geld, und die Grazerinnen und Grazer haben andere Sorgen als ein Boot auf der Mur."

Das letzte Passagierschiff in Graz war übrigens die "Styria", ein Dampfer, der 1889 in den Mittelpfeiler der Hauptbrücke gefahren ist. Sechs Menschen starben, danach stellte man die Passagierschifffahrt ein. (Colette M. Schmidt, 26.6.2018)