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Soll unser Land symbolisieren helfen: die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, angefertigt vor 1000 n. Chr.

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Die Idee, das eigene kulturelle Erbe in eine "Nussschale" zu packen, tut dem tatsächlichen Reichtum Österreichs an entsprechenden Besitztümern Gewalt an. Einen Messestand wird das nächste EU-Vorsitzland in Brüssel aufschlagen. Ein weißer, drei Meter hoher Kubus ziert dann, wie berichtet, in der zweiten Jahreshälfte 2018 das Innere des EU-Ratsgebäudes.

Offenbar wirbt man für die Geschichte der Republik Österreich am besten um Verständnis, indem man großräumig von ihr ablenkt. Das "Nussschalen-Museum", der ganze Stolz unserer Kulturexporteure, wird an seiner Außenhaut ausgerechnet von einem Bild der Reichskrone geziert.

In diesem achteckigen Reif voller Edelsteine, einem Werkstück aus dem Hochmittelalter, kristallisiert sich – lang, lang ist's her – die Idee des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Der Umstand aber, dass die Krone in der Schatzkammer der Wiener Hofburg aufgehoben ist, sagt herzlich wenig aus über Österreich, über seine heutige Beschaffenheit als demokratische Republik innerhalb europäischer Grenzen.

Symbolische Bestimmung

Das formschöne Reichskleinod war erst 1800 in die Kaiserstadt Wien gelangt. Nürnberg, wo man die Krone sonst aufzupolieren pflegte, lag wiederholt in Reichweite der französischen Revolutionsarmeen. Brav hatten die Habsburger versprochen, nach Abwendung der Gefahr die Kleinodien der Stadt Nürnberg zurückzuerstatten. Doch wie so häufig in Österreich wurde ein Provisorium stillschweigend in den Rang des Faktischen erhoben.

Ab 1806 war das Römische Reich endgültig erloschen. Mit seiner Auflösung war auch die entsprechende Krone funktionslos. Die Visitenkarte, mit der Kultur- und EU-Minister Gernot Blümel in Brüssel um Aufmerksamkeit wirbt, ist – ihrer symbolischen Bestimmung nach – wertlos. Wiederum stellt sich Österreich nicht so sehr als zeitgenössisches Kulturland dar. Lieber präsentiert sich unser Land als Dorado für Archivare, die sich im Abendrot längst erloschener Imperien sonnen.

Der Plakatkubus im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude überträgt das Prinzip der Fremdenverkehrswerbung noch einmal auf Österreichs Selbstdarstellung als Kulturnation. Ein "Best of" aus Exponaten der Bundesmuseen soll jenen Gusto wecken, den heimische Gaststätten und Beherbergungsbetriebe dann vor Ort, in Wien und Umgebung, umso routinierter stillen helfen.

Bereits ab Montag, dem 2. Juli, beschallen heimische Klangerzeugnisse verschiedene Brüsseler Metrostationen: Pop bis Klassik vom Band. Es ist gewiss nicht verkehrt, auf den konservatorischen Charakter heimischer Kulturpflege hinzuweisen. Fast schon Randnotizen sind die Konzerthinweise. Im Brüsseler Bozar wird im September das Klangforum Wien gastieren. Die Wiener Philharmoniker musizieren unter der Leitung von Herbert Blomstedt und spielen – oh rares Wunder- ein Werk des schwedischen Romantikers Franz Berwald.

Ebenfalls in das Kulturzentrum Bozar darf dann die Schau Klimt ist nicht das Ende aus Wien übersiedeln (Beyond Klimt). Fast schon tollkühn die Reise des Stationentheaters Ganymed goes Brussels (Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf) in die Heimat von Manneken Pis.

Exportglück mit Philip Glass

Und um niemanden zu vergessen: Das Hagen Quartett gibt mit Klarinettist Daniel Ottensamer am 1. Dezember ein Konzert vor Ort. Bereits am 21. November werden die Klavieretüden von US-Minimalist Philip Glass multimedial anschaulich gemacht. Damit auch die Ars Electronica einmal präsent ist. Die Symphoniker machen ihre Aufwartung. Skulpturen von Brigitte Kowanz und Lois Weinberger soll es ebenso zu sehen geben wie ein paar Art-brut-Exponate.

Österreich hat es nicht eilig damit, in der Gegenwart anzukommen. Lieber schon packt man das unverdient reiche Erbe in die kleinstmögliche Form, die Nussschale. Die Kaiserkrone aber sei, so Minister Blümel, als Emblem der demokratischen Republik Österreich "eine treffliche Wahl".

Die Wandexponate des "Nussschalen-Museums" umfassen übrigens auch die Krone Rudolfs II., Rüstungen von Maximilian I. und Ferdinand I. sowie die Infantin Margarita von Velázquez. Fast empfindet man leise Trauer angesichts der unabänderlichen Tatsache, dass Kaiserin Zita und ihr Sohn Otto von Habsburg die heimische Kulturinitiative nicht mehr miterleben dürfen. Obwohl die Reichskrone wohl auch ihnen widersinnig erschienen wäre. (Ronald Pohl, 26.6.2018)