Die ÖVP-FPÖ-Regierung legte Anfang Juni 2018 einen Gesetzesentwurf vor, der einige Zuständigkeiten zwischen Bund und Länder neu regeln soll. Ganz konkret geht es bei der Novelle um die Abschaffung des Verfassungsartikels 12, der gemischte Zuständigkeiten von Bund und Ländern regelt. So gibt in einigen Bereichen der Bund Grundsätze vor, und die Länder erlassen darauf basierend eigene Ausführungsgesetze.

Experten protestieren

Nun soll nach dem Willen der Bundesregierung die Zuständigkeit für die Kinder- und Jugendhilfe zu den Bundesländern wandern, wogegen alle Organisationen und Experten aus diesem Bereich massiv protestierten. Denn es betrifft einen der sensibelsten Bereiche einer Gesellschaft, nämlich den Umgang mit den rund 14.000 Kindern- und Jugendlichen, die nicht in ihrer Ursprungsfamilie aufwachsen, sowie die Unterstützung der Erziehungsarbeit in hochbelasteten Familiensituationen.

Eine "Verländerung" im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe würde nämlich zu noch mehr unterschiedliche Qualität beim Kinderschutz innerhalb Österreichs führen, die schon jetzt in der Praxis zu großen Problemen geführt hat.

Die Volksanwaltschaft übte gerade in letzter Zeit scharfe Kritik am System der Kinder- und Jugendhilfe, mit dem die Experten der sozialen Arbeit regelmäßig konfrontiert sind. Die unterschiedlichen Standards spiegeln sich in den wenigen Zahlen, die über dieses dynamische Feld vorliegen, wider.

So werden in Tirol lediglich 0,65 Prozent aller Kinder aufgrund von Kindeswohlgefährdung fremd untergebracht. Eine Fremdunterbringung wird dann veranlasst, wenn Kinder oder Jugendliche nicht mehr in ihrer Herkunftsfamilie bleiben wollen, können oder sollen. Währenddessen sind es in Wien und der Steiermark mehr als ein Prozent aller Kinder, die fremd untergebracht werden. So ist eine Fremdunterbringung hier um 60 Prozent signifikant höher, was sich niemand wirklich erklären kann.

Dies ist auch aus menschenrechtlicher Perspektive ein gravierendes Problem, denn es sollte nicht dem Zufall, dem Ort der Geburt oder dem Ort des Aufwachsens überlassen werden, ob ein Kind aus seiner Familie genommen wird oder nicht.

Unterschiedlich viel Geld

Auch das Budget, welches für die Kinder- und Jugendhilfe von den Bundesländern ausgegeben wird (2015 590 Millionen Euro), unterscheidet sich in einem hohen Ausmaß voneinander. Eine Untersuchung der einschlägigen Budgets von 2000 bis 2005 ergab, dass die Pro-Kopf-Ausgaben unter den Bundesländern von 100 Euro bis 400 Euro divergierten. Dass sich dies auch auf die Qualität der Betreuung auswirkt, ist völlig klar.

Auch die Personalsituation ist in der Kinder- und Jugendhilfe "alarmierend", wie es Volksanwalt Günther Kräuter Anfang Juni formulierte. Unzureichend ausgebildete Fachkräfte, schlechte professionelle und ökonomische Rahmenbedingungen, eine hohe Personalfluktuation, die zu weiteren Beziehungsabbrüchen bei den Kindern und Jugendlichen führt, und eine dramatische Personalnot gehen immer zulasten der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien.

Es fehlt an Fachhochschulen, an ausgebildeten Sozialarbeiter und Sozialpädagogen – die ohnehin geringe Zahl der Studien und Ausbildungsplätze wurde in den letzten Jahren in Österreich nicht erhöht. Hier koppelt sich Österreich von der internationalen Entwicklung ab, wo massiv in diesen Bereich investiert wird.

Keine Husch-Pfusch-Lösung

Trotz eines Kinder- und Jugendhilfe-Bundesgesetzes konnten sich diese dramatischen Unterschiede innerhalb Österreichs manifestieren. Am 1. Mai 2013 ist dieses Gesetz in Kraft getreten, welches damals von den Expertengruppen scharf kritisiert wurde. Denn viele soziale Innovationen, die für eine zeitgemäße Kinder- und Jugendhilfe nötig gewesen wären, fielen dem unwürdigen Machtspiel zwischen Bund und Länder zum Opfer.

Nicht auszudenken, wie sich die Qualität weiter unterschiedlich entwickeln würde, wenn dann von den Bundesländern nicht einmal mehr Mindeststandards eingehalten werden müssen, wie zum Beispiel das Vier-Augen-Prinzip bei Kindeswohlgefährdung.

Im Zuge der Kritik am Gesetz im Jahr 2013 wurde von der verantwortlichen SPÖ-ÖVP-Regierung beschlossen, dass eine Evaluierung dieses Gesetzes vorgenommen werden solle, um diese Ergebnisse 2016 zu veröffentlichen und um etwaige Nachbesserungen vorzunehmen. Diese Evaluation dürfte nie durchgeführt worden sein, denn Ergebnisse wurden bis dato nicht präsentiert, zumindest nicht der Kinder-und-Jugendhilfe-Community vorgelegt.

Evidenzbasierte Politik

Das wäre aber eine sinnvolle Form von evidenzbasierter Politik. Bevor von der Bundesregierung eine schnelle "Husch-Pfusch-Lösung" ohne Einbindung von Experten beschlossen wird, wäre eine breite sozialwissenschaftliche Analyse der aktuellen Situation der Kinder- und Jugendhilfe indiziert, um danach optimale rechtliche Rahmenbedingungen zu beschließen, die in erster Linie den Bedürfnissen und Anforderungen der Kinder, Jugendlichen und Familien folgen.

Diese Regierung hätte nun die Chance, Interessen, die die Menschenrechte betreffen, nicht dem Föderalismus zu opfern. (Roland Fürst, 27.6.2018)