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Macron legt ein rasantes Reformtempo an den Tag.

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Vor einem Jahr noch galt Frankreich als der "kranke Mann Europas". Dann verschrieb Emmanuel Macron dem Land eine Reformkur, die keine Pause kennt. Hat der hyperaktive Präsident Erfolg? Ist Frankreich bereits genesen? Ein Überblick über den Stand einer schwierigen Rekonvaleszenz.

Frage: Wie geht es Frankreich heute?

Antwort: Der Patient erholt sich langsam. Die französische Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren fast stagnierte, wächst wieder stärker: 2,1 Prozent in diesem Jahr, zwei Prozent 2019, schätzt der Internationale Währungsfonds. Die Arbeitslosigkeit, sonst Pferdefuß der französischen Wirtschaft, hat eine Trendwende erfahren: Sie ist seit Macrons Amtsantritt im Mai 2017 von über zehn auf neun Prozent zurückgegangen. Das Haushaltsdefizit ist erstmals seit zehn Jahren unter die EU-Schwelle von drei Prozent gesunken. Die Investitionen der Unternehmen haben um gut vier Prozent zugelegt. Die Stimmung der Firmenchefs und der Konsumenten ist entsprechend positiv.

Frage: Ist das alles Macrons Verdienst?

Antwort: Die neu gefundene Dynamik kann der junge Präsident für sich verbuchen. Kaum aber die Konjunkturzahlen nach einem Jahr: Sie haben ihren Ursprung eher in der europäischen und globalen Konjunktur sowie in den zaghaften Reformen seines sozialistischen Vorgängers François Hollande. "Emmanuel im Glück" kann umgekehrt auch nicht verhindern, dass sich in Frankreich nun erste Zeichen einer Konjunkturerlahmung bemerkbar machen.

Frage: Wie reformiert Macron Frankreich?

Antwort: Kaum ein Tag vergeht in Paris ohne Ankündigung einer neuen Reform – allein in der vergangenen Woche etwa die Privatisierung der Pariser Großflughäfen, ein Gesetz zu künstlicher Intelligenz oder die Beteiligung der Mitarbeiter am Firmenkapital. Am wichtigsten sind die Reform des Arbeitsmarktes (unter anderem mit der Deckelung der Abgangsentschädigungen) sowie die Reform der Bahn SNCF (mit der Aufhebung des Eisenbahnerstatutes inklusive Rente mit 54 Jahren).

Frage: Was haben Macrons Reformen nach einem Amtsjahr bewirkt?

Antwort: Ob die Arbeitsmarktreform Jobs geschaffen hat, wie das Macron versprochen hat, ist noch offen. Die Bahnreform wartet auf die Schlussabstimmung im Parlament. Die Aufbruchsstimmung verleiht der Landeswirtschaft jedenfalls neue Impulse. Die Investitionen durch ausländische Geldgeber, die in Frankreich seit je beträchtlich sind, nehmen laut einer Studie des Beratungsbüros EY auf "spektakuläre" Weise zu. Dagegen herrscht bei den Gewerkschaften Katerstimmung.

Die Eisenbahnerproteste gegen Macrons Reformpläne verzögern den Beschluss.
Foto: AFP/FREDERICK FLORIN

Frage: Ist Macron Frankreichs neue Thatcher oder neuer Schröder?

Antwort: Nein, denn anders als Margaret Thatcher hat es Macron nicht darauf abgesehen, die Macht der Gewerkschaft zu brechen. Sein Ansatz ist nicht politisch, sondern technokratisch: Der ehemalige Spitzenfunktionär, Privatbanker und Wirtschaftsminister will die französische Wirtschaft "transformieren", wie er sagt. Das heißt, nicht einfach liberalisieren: Macron will die starke Rolle des Staates in der Wirtschaftslenkung durchaus beibehalten. Macrons Arbeitsmarktreform ist zudem weniger einschneidend als etwa die Hartz-Erlasse des deutschen Exkanzlers Gerhard Schröder

Frage: Ist Emmanuel Macron der "Präsident der Reichen"?

Antwort: Dieser Vorwurf der französischen Linken stellt Macrons Positionierung – "weder links noch rechts" – infrage. Sie ist zum Teil ungerecht: Der Präsident wollte nicht direkt wohlhabende Franzosen begünstigen, als er die Vermögenssteuer aufgehoben oder diese genauer gesagt auf den Immobilienbesitz reduziert hat. Wenn er den Kapitalbesitz nicht mehr besteuert, will er der chronisch unterkapitalisierten französischen Wirtschaft frisches Geld zuführen. Der an sich durchdachte Ansatz erweist sich allerdings als politisch verheerend, da Macron soziale Ausgleichsmaßnahmen für die Ärmeren "vergessen" hat.

Frage: Welche Strukturprobleme Frankreichs bleiben ungelöst?

Antwort: Da der größte Teil der französischen Sockelarbeitslosigkeit – laut Banque de France rund acht Prozent – strukturell bedingt ist, wird sie auch hohem Wachstum trotzen. Von den 800.000 jungen Berufseinsteigern, die jährlich in den Arbeitsmarkt drängen, bleiben fast 200.000 ohne Job. Macron will deshalb auch die Berufs- und Weiterbildung radikal umbauen. Eine andere Ursache der Arbeitslosigkeit sind die hohen Unternehmensabgaben, die auf die Exportfähigkeit drücken und zum hohen Handelsdefizit beitragen. Hier zeigen sich Macrons Grenzen, denn er scheint nicht willens oder in der Lage, die horrenden Staatsausgaben von 56 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu senken – und damit die Steuern und Abgaben reduzieren zu können. Das Haushaltdefizit ist 2017 nicht etwa wegen Sparmaßnahmen gesunken, sondern wegen höherer Steuereinnahmen.

Frage: Erlahmt Macrons Reformwille auf die Dauer?

Antwort: Keineswegs. Das frenetische Reformtempo setzt nicht Macron zu, dafür seinen Equipen in den Ministerien und dem Élysée-Palast. Pariser Medien berichten von Burnouts. Der Währungsfonds, der Frankreich kürzlich als "Meister der Reformen" lobte, fordert die Regierung in Paris auf, die Bemühungen beizubehalten. Bei dem hyperaktiven Präsidenten, der nur drei bis vier Stunden pro Nacht schläft, rennen sie damit offene Türen ein: Macron denkt nicht daran, seinen Arbeitsrhythmus und seinen Reformeifer zu bändigen, was in sich schon eine gewaltige Änderung gegenüber all seinen Vorgängern darstellt.

Frage: Welche Perspektiven hat Frankreich?

Antwort: Frankreich profitiert nicht nur von einer besseren Stimmung seiner Firmen und Konsumenten, sondern auch von einem gewachsenen Selbstvertrauen, das mit langen Jahren des Defätismus und wirtschaftlicher Depression bricht. Wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit: Die Löhne liegen in Frankreich nicht mehr viel höher als in Deutschland. Die Konjunkturaussichten bleiben zudem günstig. (Stefan Brändle, 28.6.2018)