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Die Zeit für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wird immer knapper. Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) steht hinter ihr, Horst Seehofer (CSU) nicht.

Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Keine Ergebnisse beim Koalitionsgipfel? Das stimmt so nicht. Denn immerhin: Die Spitzen von Union und SPD haben sich in der Nacht auf Mittwoch bei ihrem Treffen im Kanzleramt auf das sogenannte "Baukindergeld" geeinigt. Familien, die ein Häusle bauen oder eine Immobilie erwerben wollen, bekommen künftig staatliche Unterstützung in Höhe von 1200 Euro pro Kind und Jahr.

In "normalen" Zeiten hätten sich Koalitionspolitiker dafür den ganzen folgenden Tag, also den Mittwoch, selbst gelobt. Doch nach Selbstbeweihräucherung war vielen nicht der Sinn, denn in der Causa prima auch nur einen Schritt weiter, geschweige denn zu einer Lösung zu kommen war den Koalitionären ja nicht gelungen. Nach wie vor ist ungeklärt, wie Deutschland ab der kommenden Woche mit Flüchtlingen umgehen wird, die schon in einem anderen EU-Land registriert worden sind.

"Das ist die Regel, die gilt"

CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer will sie noch direkt an der Grenze abweisen, Kanzlerin Angela Merkel lehnt dies ab und sucht nach einem Ausweg, der die anderen EU-Staaten oder zumindest einige davon einbindet. Sie ist der Meinung, die Abweisung könne nicht schon an der Grenze erfolgen, da zunächst in Deutschland geprüft werden müsse, welches Land für die weitere Bearbeitung des Falles zuständig sei und ob dann ein Überstellungsverfahren eingeleitet werden müsse. "Das ist die Regel, die gilt", stellte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch noch einmal klar und sprach auch von einer von der EU-Kommission bestätigten "Rechtsauffassung".

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) versuchte zwar einerseits nach dem Koalitionsgipfel zu beschwichtigen und erklärte, dass eigentlich gar keine Lösung zu erwarten gewesen sei: "Da geht es ja nicht um eine Kleinigkeit, sondern etwas ganz Zentrales, Wichtiges." Andererseits wollte er nicht verhehlen, dass man sich auch innerhalb der Koalition Sorgen macht: "Die Lage ist sehr ernst."

Denn auch die CSU machte noch einmal deutlich, dass sie ihrer Linie strikt folgen werde. "Wenn es keine europäische Lösung gibt, werden wir national handeln müssen. Die CSU stellt den Bundesinnenminister und der muss dafür sorgen, dass wieder Recht und Ordnung herrschen", sagte Seehofer. CSU-Generalsekretär Markus Blume betonte aber gleichzeitig, seine Partei strebe keine Abspaltung von der CDU an: "Von der CSU stellt niemand die Union infrage."

Auch Seehofer schlug Mittwochabend versöhnlichere Töne an: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das auflösen", sagte er in der ARD-Sendung Maischberger in Hinblick auf den Asylstreit. Man versuche das "vernünftig unter Aufrechterhaltung der beiderseitigen Glaubwürdigkeit" zu lösen.

Warnung der "Alten"

In den vergangenen Tagen haben einige der alten CSU-Granden deutliche Warnungen an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), den Landesgruppenchef im Bundestag Alexander Dobrindt, aber auch Seehofer ausgesprochen.

So schrieb der ehemalige Chef der Landtagsfraktion, Alois Glück, in einem offenen Brief an den CSU-Vorstand, der Preis nationaler Alleingänge für Bayern, Deutschland und Europa wäre "unermesslich hoch". Mit der Forderung nach einer Asylwende um jeden Preis werde "eine Dynamik des Konflikts zwischen den Unionsparteien und mit der Bundeskanzlerin geschürt, den bald niemand mehr beherrschen kann".

Auch der CSU-Ehrenvorsitzende und ehemalige Finanzminister Theo Waigel, der als einer der Väter des Euro gilt, mahnt, CDU und CSU seien "die letzte große Volkspartei in den demokratischen Staaten Europas". Ihr Bruch würde die Rolle Deutschlands als stabilisierende Kraft in Europa gefährden.

Merkel hofft auf EU-Gipfel

Merkel jedenfalls hofft auf ausreichende Fortschritte beim EU-Gipfel. In Regierungskreisen hieß es am Mittwochnachmittag, sie stufe die Gespräche mit den anderen EU-Staaten als ermutigend ein. Allerdings betont man in Merkels Umgebung auch, die geplanten Beschlüsse seien zwar ein "wesentlicher Fortschritt", würden aber das Migrationsproblem nicht lösen. Details müsse man ohnehin dann erst nach dem Gipfel ausarbeiten.

An Appellen von allerhöchster Stelle mangelt es jedenfalls nicht. Er erwarte, "dass alle Staats- und Regierungschefs auf diesem Rat sehr ernsthaft um eine Lösung ringen werden, die wichtige europäische Prinzipien miteinander in Einklang bringt", erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Er hat auch schon versucht, CDU und CSU mit ungewöhnlicher Schärfe ins Gewissen zu reden: "Wie sollen wir eigentlich erfolgreich für Vernunft und Augenmaß in der politischen Debatte werben, wenn auf höchster Ebene und selbst im Regierungslager mit Unnachsichtigkeit und maßloser Härte über doch eigentlich lösbare Probleme gestritten wird, als gäbe es kein Morgen mehr?"

Die SPD ist ratlos

Die CSU will am Sonntag ihre Entscheidung treffen. In Kreisen der Partei heißt es, dass Merkel mit Plänen, die irgendwann umgesetzt werden könnten, gar nicht erst aus Brüssel heimzukehren brauche. Wie es nach dem Sonntag weitergeht, ist unklar. Auch SPD-Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles zeigt sich ratlos. Auf die Frage, ob sich die SPD angesichts der CSU-Drohungen auf Neuwahlen vorbereite, antwortete sie: "Das weiß ich noch nicht. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das warten wir jetzt mal ab." (Birgit Baumann aus Berlin, 28.6.2018)