Zeitnah, weil in London vor Ort, konnte der STANDARD vom Launch des OnePlus 6 berichten. Und zeitnah hätten wir natürlich auch eine Rezension des Smartphones veröffentlicht. Diesem Vorhaben standen allerdings schicksalhafte Fügungen im Weg. Logistikbedingte Verzögerungen sorgten dafür, dass das Handy nicht schon zum Marktstart, sondern erst vor wenigen Tagen in der Redaktion einlangte. Der Zoll, übrigens nicht der österreichische, macht es auch Smartphoneherstellern nicht immer leicht.

Doch genug des Wehklagens. Auch ein paar Wochen Verspätung hindern uns nicht daran, den Android-Boliden auf seine Stärken und Schwächen abzuklopfen. Immerhin verspricht er, einmal mehr eine günstigere Highend-Alternative für jene zu sein, die nicht 800 Euro und mehr für die Premiumgeräte der großen Marken ausgeben wollen.

Foto: derStandard.at/Pichler
Foto: derStandard.at/Pichler

Spitzen-Specsheet

"Flaggschiffkiller" nannte OnePlus seine eigenen Geräte einst. Ein mittlerweile etwas überstrapazierter und womöglich nicht mehr ganz angemessener Begriff. Der Erstling, das OnePlus One, war einst für weniger als 300 Euro zu haben. Je nach Ausstattung muss man mittlerweile 519 bis 619 Euro ausgeben.

Bei der Hardware hat man, jedenfalls am Spezifikationszettel, keine Abstriche gemacht. Der aktuelle Snapdragon 845, schon in diversen anderen Spitzenhandys der Saison zu finden, werkt im Verbund mit sechs oder acht GB RAM. Dazu gesellen sich 64 bis 256 GB Speicher, der sich allerdings nicht via microSD-Karte erweitern lässt.

Auf der Rückseite sitzt ein Dualkamera-Modul mit einem 20- und einem 16-Megapixel-Sensor. Es gibt elektronische und optische Bildstabilisierung und einen Dual-LED-Blitz. An der Frontseite geht ein 16-MP-Sensor zu Werke.

In puncto Konnektivität ist auch der "State of the Art" vertreten: LTE (theoretisch mit einer Downloadrate von bis zu einem Gigabit pro Sekunde), ac-WLAN, Bluetooth 5.0 und NFC. Der integrierte Lithium-Polymer-Akku fasst 3.300 mAh und ist über den eigenen "Dash Charge"-Standard schnellladefähig.

Foto: derStandard.at/Pichler

Gutes Display

Das Hardwarepaket versteckt sich hinter einem 6,3-Zoll-Display im 19:9-Format bzw. einer Auflösung von 2.280 x 1.080 Pixel. Damit das Handy trotz dieser "Streckung" nicht zu lang ausfällt, wurde ein "Notch" implementiert. Also eine Einkerbung am oberen Displayrand, in der sich Frontkamera und der Ohrhörer für Telefonate verstecken.

Es handelt sich um ein AMOLED-Panel, das wie erwartet farbstark ist und gute Helligkeit bietet. Auch bei Sonnenschein gibt es nur selten Probleme, den Bildschirm abzulesen. Der Notch ist freilich Geschmacksfrage, er lässt sich aber optional mit einem schwarzen Streifen "verstecken".

Foto: derStandard.at/Pichler

Top verarbeitet

Das Gehäuse aus Metall ist schlank und voll verglast. Mit Maßen von 155,7 x 75,4 x 7,8 Millimeter und den abgerundeten Kanten liegt es gut in der Hand. Auf nicht planen, glatten Oberflächen sollte man es aber nicht unbeaufsichtigt liegen lassen. Denn dann kann es passieren, dass das OnePlus 6 auf Wanderschaft gen Abgrund geht. Ein Problem, das mittlerweile einige Highend-Handys haben. Für mehr Haftung sorgt eine Schutzhülle, wie sie OnePlus in gleich fünf Varianten – darunter auch eine knallrote – anbietet, Der Schlankheitsbonus des Handys ist mit einer solchen aber freilich dahin und es wird auch ein Stück unhandlicher.

Auf der linken Seite hat OnePlus die Lautstärkewippe untergebracht. Rechts sitzen der Ein/Aus-Schalter und der Schieberegler für Lautstärkeprofile. Auf der Unterseite sind Mono-Lautsprecher, USB-C-Anschluss (USB 2.0) und der 3,5mm-Klinkenstecker zu finden. Der Fingerabdruckscanner, nun in rechteckiger statt runder Form, liegt wie schon beim OnePlus 5T auf der Rückseite unterhalb der Kamera.

Verarbeitungstechnisch gibt es nichts zu kritisieren. Um das Display herum gibt es keine problematischen Spalten. Die Tasten sind gut ertastbar und wabbeln nicht. Die Rückseite ist aufgrund der Verglasung allerdings sehr anfällig für Fingerabdrücke und aufgrund ihrer spiegelnden Eigenschaften schwer zu fotografieren. Problematisch ist allerdings, dass das Kameramodul etwas aus dem Gehäuse heraussteht, sodass das Handy nie ganz flach aufliegt.

Foto: derStandard.at/Pichler

Nahe an "Vanilla Android"

Vorinstalliert ist Android 8.1 "Oreo" in der von OnePlus entwickelten Geschmacksrichtung Oxygen OS. Dieses hält sich bei der Oberfläche recht nah an die Google-Vorlage, hat aber eine Reihe von Zusatzfeatures bekommen. Neu eingeführt wurde mit dem OnePlus 6 etwa eine erweiterte Gestensteuerung. Ähnlich wie beim iPhone X kann man nun auch Wischgesten anstelle der Onscreen-Navigationstasten verwenden.

Dazu gibt es auch einen Lesemodus, der bei verschiedenen Apps automatisch eingeschaltet werden kann. Er versetzt das Display in einen Schwarz-Weiß-Modus mit verbessertem Kontrast, der namensgemäß den Konsum von Texten erleichtern soll. Zur Schonung der Augen und des Hormonhaushalts kann der Bildschirm auch in wärmere Farben mit geringerem Blauanteil getüncht werden, wenn es Abend wird.

Es gibt auch einen Gaming-Modus, der ausgebaut wurde. Er deaktiviert die Einblendung von Benachrichtigungen beim Ausführen von Spielen oder anderen, eingestellten Apps. Weiters wird der Datenverkehr des gerade ausgeführten Spiels priorisiert und auch die Bildschirmhelligkeit lässt sich auf einen fixen Wert einstellen. Eigene Anpassungsmöglichkeiten, inklusive fixer Ein/Aus-Zeiten gibt es nun auch für den "Do Not Disturb"-Modus.

Foto: derStandard.at/Pichler

Wieder dabei ist das letztes Jahr eingeführte "Face Unlock". Das leistet sich manchmal Aussetzer, funktioniert aber meist sehr schnell. Ende Mai stellte sich heraus, dass man diesen Mechanismus mit einem Foto austricksen kann. Es ist unklar, ob OnePlus, das eine Untersuchung angeküngt hatte, die Schwachstelle schon behoben hat.

Wer es sicherer haben will, kann sonst noch auf den Fingerabdruckscanner ausweichen. Der ist allerdings beim OnePlus 6 etwas störrisch und nicht ganz so zuverlässig, wie jener im Vorgängermodell. Dass er schmaler geworden ist, dürfte hier auch eine Rolle spielen.

Extrem flottes System

In puncto Performance zeigen die Entwickler des Herstellers aber wieder einmal eine ihrer Stärken. Das System regiert flott auf alle Eingaben, Lade-, Start- und Installationszeiten fallen sehr kurz aus und auch bei ambitioniertem Multitasking gibt es keine wahrnehmbaren Hänger. Mit fast 290.000 Punkten im Testlauf mit dem Allround-Benchmark Antutu schlägt das Testgerät sogar dezidierte Gaming-Handys wie das "Black Shark" von Xiaomi. Der Test für Grafikperformance, durchgeführt mit dem 3DMark und der Szene "Sling Shot Extreme" sieht es auf Augenhöhe mit diesem und auch Samsungs Galaxy S9+.

Nachdem auch aufwändige Games auf dem Handy flott laufen, gibt es freilich auch keine Probleme mit Messengern, Browsern oder Multimedia-Apps wie Youtube.

Foto: derStandard.at/Pichler

Kamera bei Tageslicht auf Samsung-Niveau

Das wohl für viele Nutzer bedeutendste Feature ist natürlich nach wie vor die Kamera. Und da hat OnePlus sich wieder ein Stück näher an Samsung und Apple herangearbeitet. Insbesondere die Rückkehr der optischen Bildstabilisierung, die bei den letzten beiden Modellen mit einer rein elektronischen Lösung ersetzt wurden, scheint zu helfen.

Die Kamera löst flott aus und die Ergebnisse bieten recht kräftige, jedoch realistische Farben. Positiv fällt auch der hohe Detailgrad der Bilder auf, der ohne übertriebener Nachschärfung, wie man sie teilweise etwa von Huawei-Handys kennt, erzielt wird. Im Tageslicht ist die Kamera des OnePlus 6 den aktuellen Marken-Spitzhenhandys ebenbürtig. Einzig im Portraitmodus gelingt die Kantenerfassung nicht ganz so zuverlässig, wie bei der teureren Konkurrenz. Das gilt auch für die Frontkamera, die nun ebenfalls über einen solchen Modus verfügt, sonst aber gute Qualität liefert.

Unterschiede zeigen sich allerdings in Kunstlicht- und Nachtsituationen. Bei ersterem Szenario ist der Unterschied zu merken, wenn eine stärkere Lichtquelle mit aufgenommen wird. Bei zweiterem kommt hinzu, dass etwa die Kamera des Galaxy S9+ lichtstärker ist und Details in der Düsternis besser erhält. Freilich: Das ist Kritik auf hohem Niveau.

Bei den Zusatzfeatures muss man sich jedoch geschlagen geben. Während ein hybrider Zweifach-Zoom an Bord ist, fehlt ein Superzeitlupenmodus. 240 Bilder pro Sekunde in Full-HD und 480 bei 720p schafft das OnePlus 6, also vier bzw. achtfache "Entschleunigung". Einen 960-FPS-Modus gibt es allerdings nicht.

Foto: derStandard.at/Pichler

Schwacher Sound

Akustisch enttäuscht das Handy leider. Die Musikwiedergabe via Kopfhörerstecker klingt gewohnt gut, die sonstige Klangwiedergabe könnte jedoch spürbar besser sein. Während andere Highend-Handys mittlerweile Stereolautsprecher haben oder den Ohrhörer mitbenutzen, dröhnt die Musik beim OnePlus 6 nur aus dem Monolautsprecher auf der Unterseite. Und das nicht besonders schön, sondern mit eher undeutlichem Klangbild und bei höherer Lautstärke betont blechern.

Auch die Anrufakustik könnte besser sein. Hier ist in beide Kommunikationsrichtungen ebenfalls eine gewisse Undeutlichkeit auszumachen, auch wenn die Empfangssituation gut ist.

Mittelmäßige Akkulaufzeit

Solide, aber nicht überragend, schlägt sich das Handy in Sachen Akkulaufzeit, soweit im Rahmen der Testzeit feststellbar war. Erprobt wurde das unter anderem mit "Pokémon Go", einem Spiel, das Prozessor und Grafikeinheit fordert und gleichzeitig auch die mobile Internetverbindung durchgehend nutzt und den Standort per GPS abruft. Mit einer vollen Akkuladung kann rund drei Stunden lang gespielt werden.

Verzichtet man auf die "Pokémon"-Jagd, dann kommt man ohne Probleme durch den Tag. Die Reserven fallen allerdings gering aus, wenn man sein Handy häufiger nutzt. Schade ist, dass sich mit dem Handy nicht auch die Akkukapazität erhöht hat. Hier hilft die Schnellladefunktion aus. Sie verspricht eine Aufladung von null auf 60 Prozent in 35 Minuten, was mit dem Original-Ladegerät auch fast hinkommt. Beginnend bei einem höheren Füllstand fällt der Zugewinn natürlich kleiner aus.

Wichtig zu erwähnen ist, dass der Test mit der kürzlich veröffentlichten Oxygen OS 5.1.8 durchgeführt wurde. Diese führte zu Beschwerden über reduzierte Laufzeiten. Es besteht also Hoffnung, dass die Akkulaufzeit sich mit künftigen Updates wieder verbessert.

Foto: derStandard.at/Pichler

Fazit

Das OnePlus 6 belegt preislich die Lücke zwischen "Schnäppchen", wie dem Honor 10, und den Premium-Modellen der großen Marken. Dort liegt es auch richtig. "Flaggschiffkiller" kann man es mit einer Preisauszeichnung von über 500 Euro allerdings nicht mehr nennen.

Um eine etwas bemühte Metapher zu bringen: Es ist wie ein Sportwagen für Normalsterbliche. Alles dabei, was man braucht, aber eben doch nicht ganz ein Porsche. Und für alle, deren Ansprüche damit beschrieben sind, ein Gerät, das definitiv in die engere Auswahl genommen werden sollte. (Georg Pichler, 1.07.2018)

Testfotos

Um die Originaldatei zu betrachten, bitte auf die Beschreibung klicken.

Tageslicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht, Nahaufnahme
Foto: derStandard.at/Pichler
Kunstlicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht (Portraitmodus)
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Selbes Motiv mit 2x-Zoom
Foto: derStandard.at/Pichler
Tageslicht
Foto: derStandard.at/Pichler
Selbes Motiv mit 2x-Zoom
Foto: derStandard.at/Pichler
Nachtaufnahme
Foto: derStandard.at/Pichler
Selfie mit Frontkamera
Foto: derStandard.at/Pichler