Bild nicht mehr verfügbar.

Alicia, von allem Plum genannt, fühlt sich in der Öffentlichkeit nicht wohl. Feindselige bis angeekelte Blicke gehören für dicke junge Frauen zum Alltag.

Foto: AP/Patrick Harbron

Plum, so wird Alicia Kettle von allen genannt. Plum – englisch für Pflaume, hängt man ein p dran, heißt es eben "plump" – ist ein Spitzname, der Alicias Aussehen schon anklingen lassen soll. Alicia ist dick – und es scheint wenig Zeit in ihrem Leben zu geben, in der sie nicht an diesen Umstand erinnert wird. So kann sie selbst praktisch nie vergessen, dass sie nicht so aussehen darf.

Verschärfend kommt noch hinzu, dass Plum auf dem denkbar härtesten Pflaster für dicke Menschen arbeitet, quasi im Herzen der Schönheitsindustrie, von wo aus Monat für Monat, Ausgabe für Ausgabe Frauen auf jedweden möglichen Mangel aufmerksam gemacht werden – um dann dafür Lösungen feilzubieten. Diese Analyse über das Treiben von Lifestyle-, Mode- und sogenannte Frauenzeitschriften stammt von einer Kollegin Plums, die wie diese beim Verlag Austin Media arbeitet. Die Frauenmagazine des Verlags leitet Kitty Montgomery, die im Kampf gegen das Wohlbefinden im eigenen Körper an vorderster Front steht.

Ausgerechnet an ihre Adresse geht der virtuelle Kummerkasten, in dem sich Nachrichten von Frauen türmen, die daran verzweifeln, nicht genug zu sein. Nicht schön genug, nicht dünn genug, nicht sportlich genug, nicht begehrenswert genug. Die massenhaften Mails von Frauen, die von ihren hasserfüllten Beziehungen zu ihrem Körper berichten, die sie durch Ritzen übers Kotzen bis hin zum selbstverständlichen Dauerfasten ausagieren, landen allerdings nicht bei Kitty, sondern bei Plum. Ihr Job ist es, diesen Frauen zu antworten und ihnen eine Schulter zum Ausweinen zu bieten.

Ohne Revolution wird es nicht gehen

Alicia Kettle alias Plum steht zwischen den Fronten. Sie ist Opfer der Schönheits- und auch der Gesundheitsindustrie, deren Botschaft so tief ins gesellschaftliche Bewusstsein eingedrungen ist, dass es inzwischen völlig normal ist, dicke Menschen ungeniert und auf jede erdenkliche Art und Weise zu verurteilen. Deshalb will Plum auf die andere Seite, auf die Seite der Schlanken, der Fitten, der "Fickbaren", wie es in der Serie, die auf Amazon Prime abrufbar ist, immer wieder griffig heißt.

JoBlo TV Show Trailers

Als eine feministische Terrorgruppe beginnt, Morde an Menschen zu verüben, die die Unterdrückung von Frauen – sei es durch sexuelle Gewalt, sei es durch das Schönheitsdiktat – ausnützen oder massiv unterstützen, steht Plum am Scheideweg, und genau dort wird diese Figur spannend: Sie schwankt einerseits zwischen Bewunderung für radikalfeministische Aktionen, die für sie ein Ende ihrer Qualen herbeikämpfen wollen, ohne dass sie sich dafür einer Magenverkleinerung unterziehen muss. Andererseits hegt sie aber auch Verachtung für selbstgerechtes politisches Gerede von Menschen, die nicht ihr Leben lang wegen ihres Aussehens gemobbt wurden. Plum findet zwar auch, dass sich die Gesellschaft ändert muss, möchte aber zuvor noch unbedingt sich selbst mit der geplanten Magen-OP ändern.

Doch Plum weiß es in Wahrheit besser, das wird schon in den ersten Folgen von "Dietland" klar: Mit einer Schönheits-OP wird es nicht getan sein, damit wird die harte Arbeit an "einem besseren Selbst", wie es Plum immer ausdrückt, noch lange nicht zu Ende sein. Sie weiß also längst, dass gegen diese Gefangenschaft von Frauen in nutzlosen und schmerzhaften Optimierungsprozessen nichts anderes als eine "Revolution" hilft, wie Plum schulterzuckend sagt. (Beate Hausbichler, 29.6.2018)