Nach der Übernahme durch Sebastian Kurz schwenkte die ÖVP auf eine deutlich verschärfte Linie beim Thema Zuwanderung ein.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Politische Parteien, die ihre ideologische Positionierung in eine Richtung verschieben, riskieren immer, auf der anderen Seite Stimmen zu verlieren. Als die SPD in den Neunzigern wirtschaftsliberale Reformen durchführte, öffnete sie den politischen Raum, den heute die Linke besetzt. Als die britischen Tories unter David Cameron Signale Richtung Mitte aussendeten (Ehe für alle, mehr Umweltschutz) und dann 2010 noch eine Koalition mit den EU-freundlichen Liberaldemokraten eingingen, bot sich die Chance für den Aufstieg der UK Independence Party.

Will man diese Logik allerdings auf Österreich anwenden, dann funktioniert das nicht so recht. Nach der Übernahme durch Sebastian Kurz schwenkte die ÖVP auf eine deutlich verschärfte Linie beim Thema Zuwanderung ein. Diese Bewegung nach rechts brachte ehemalige Wähler von BZÖ und Team Stronach (immerhin mehr als 430.000 Stimmen bei der Nationalratswahl 2013) sowie FPÖ-Stimmen ins türkise Lager. Man hätte aber erwarten können, dass im Gegenzug Stimmen in der Mitte frei und für andere Parteien (Neos, SPÖ) ansprechbar würden.

Anders gesagt: Bewegt sich eine Partei nach rechts, dann wäre damit zu rechnen, dass die Konkurrenz zu ihrer Linken davon profitiert. Aber genau das Gegenteil trat ein: Die ÖVP hatte 2017 die höchste Behalterate aller Parteien, die Neos blieben in etwa gleich, und die Parteien links der Mitte fuhren den in Summe niedrigsten Anteil an Stimmen (knapp 36 Prozent) und Mandaten (knapp 33 Prozent) in der Geschichte der Zweiten Republik ein. Zum ersten Mal seit 1945 gibt es im Nationalrat keine linke Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen.

Wie konnte die ÖVP trotz Rechtsrucks Stimmenabwanderung in der Mitte vermeiden? Zumindest ein Teil der Antwort auf diese Frage hat mit der extrem zuwanderungsskeptischen Haltung der österreichischen Wähler – nicht nur jener der FPÖ – zu tun. Wenn man sich nach rechts bewegen kann, ohne dabei in der Mitte zu verlieren, dann vielleicht deshalb, weil genügend Stimmenpotenzial im Raum rechts der Mitte verortet ist.

Die Grafik oben zeigt die Einstellungen zur Zuwanderung (eine Indexbildung aus sechs Fragen zum erwünschten Ausmaß an Zuwanderung verschiedener sozialer Gruppen sowie den Folgen von Zuwanderung für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes) für Wähler rechtspopulistischer Parteien (jeweils in Klammer angegeben) und anderer Parteien in zehn westeuropäischen Ländern.

Wie zu erwarten sind Wähler rechtspopulistischer Parteien überall deutlich zuwanderungsskeptischer als andere Wählergruppen. Das Erstaunliche aber ist, dass in Österreich die Nicht-FPÖ-Wähler ein ähnliches Ausmaß an Ablehnung gegenüber Zuwanderung an den Tag legen wie anderswo (etwa in Schweden oder in der Schweiz) die Wähler rechtspopulistischer Parteien. Wähler in der Mitte der ideologischen Präferenzverteilung sind in Österreich also relativ weit rechts positioniert. Der Medianwähler hat in Österreich einen Indexwert von -0,26, in den neun anderen Ländern ist er klar positiv.

Es mag also paradox klingen, aber Sebastian Kurz hat mit seinem Kurswechsel nach rechts (im ideologischen Sinn) die ÖVP in die Mitte (im Sinne der Präferenzverteilung der Wählerschaft) geführt.