Wien – Johann III. Sobieski hat in Wien eigentlich einen recht guten Ruf – schließlich ist es dem König von Polen und Großfürsten von Litauen zu verdanken, dass die Stadt im Jahr 1683 nicht von den Osmanen eingenommen wurde. Herr J., 54 Jahre alt und Schulwart, scheint von Sobieski weniger zu halten, schließlich soll er ihn für eine Beleidigung genutzt haben.

Es geht um die Nacht auf den 19. Jänner, Ort der Handlung ist das Lokal "Einfach so" am Währinger Gürtel. Für Herrn J. endete der Besuch mit einem offenen Nasenbeinbruch und zwei weiteren gebrochenen Gesichtsknochen, schuld daran soll Mario H. sein, der mit einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung vor Richter Peter Sampt sitzt.

Der 39-jährige Pole ist siebenmal vorbestraft, dreimal wurde er wegen Gewaltdelikten verurteilt. An J.s Verletzungen sei er aber unschuldig, beteuert der Arbeitslose, der derzeit eine Drogenentzugstherapie absolviert. Er sei am Abend des 18. Jänner in das Lokal gekommen, wo Herr J. an der Bar stand. Und ihn unvermittelt und ausdauernd beschimpfte. "Wichser", "du dreckiger Pole" und seltsamerweise "Sobieski-Schwein" soll der Schulwart ihn genannt haben.

Über Stufe in Lokal gestolpert

Es sei auch zu leichtem körperlichem Kontakt gekommen, zugeschlagen habe er aber nie, sagt der Angeklagte. In den frühen Morgenstunden des 19. habe allerdings J. versucht, ihn zu schlagen, erinnert H sich. Der Ältere sei auf ihn zugestürmt, H. habe einen Schritt zur Seite gemacht, wodurch J. an einer Stufe ins Stolpern geriet und auf das Gesicht fiel. Dabei habe er sich die Verletzungen wohl zugezogen. Gekannt habe er seinen Kontrahenten nur flüchtig, woher J. die Nationalität von H. kannte, weiß Letzterer nicht.

Zeuge J. erzählt eine komplett andere Geschichte. "Erstens einmal wollte er mir Drogen verkaufen. Ich nehm das Zeugs nicht", behauptet der 54-Jährige. Dann habe H. die ganze Zeit gestänkert und schließlich mit einem Barhocker nach ihm geworfen. Sampt ist überrascht, davon war bisher nicht die Rede. "Ich habe das gar nicht mitbekommen, mein Begleiter hat ihn abgewehrt", gibt J. zu.

Der schließlich auch eingestehen muss, nur mehr "schemenhafte Erinnerungen" an den Abend zu haben. Seine Vermutung: "Ich nehme an, dass ich eine Substanz ins Getränk bekommen habe." Das ist zwar nicht auszuschließen, Sampt hat aber eine naheliegendere Vermutung: "Was haben Sie denn getrunken an dem Abend?" – "Weiß ich leider nicht mehr genau. Auf jeden Fall leider zu viel. Vier Bier und drei Spritzer werden es schon gewesen sein."

Opfer fehlt die Erinnerung

Eine weitere Vermutung J.s: Der Angeklagte müsse ihn mit einem Barhocker verprügelt haben. Das habe ihm eine Kellnerin gesagt, die es von einer Kollegin gehört haben will. Als er selbst auf der Suche nach Zeugen einige Tage später wieder im Lokal erschien, habe ihm der Chef und eine Kellnerin allerdings beschieden, so was passiere in ihrem Lokal nicht. Von einem Punkt ist J. aber überzeugt: "Ich bin sicher nicht gestürzt!" Er schließt auch aus, geschimpft oder zugeschlagen zu haben. "Woraus schließen Sie das, wenn Ihnen die Erinnerung fehlt?", wundert sich der Richter. "Weil i ned hihau", lautet die Erklärung.

Dann verliest Sampt Interessantes aus dem Akt: J. hatte um vier Uhr früh nämlich die Polizei zu seinem Wohnhaus gerufen. Und angezeigt, er sei von "drei jungen, dunkel gekleideten, Ausländern" vor seinem Haus verprügelt worden. Was die Beamten nicht recht glauben wollten – schließlich war zu diesem Zeitpunkt das Blut auf seinem Kopf bereits eingetrocknet. Nach weiteren Einvernahmen gestand J. schließlich, diesen Überfall erfunden zu haben.

"Das war wegen der Dienststelle und der Direktorin, weil es nicht so gut kommt, wenn ich so spät in einem Lokal bin", erklärt der Schulwart nun dazu. Verteidigerin Christine Wolf kann dem nicht ganz folgen: "Was hat das mit der Chefin zu tun, wenn Sie angeblich verprügelt werden? Dann sind Sie ja das Opfer?" – "Ich habe bis 21 Uhr Dienst, es kommt nicht gut", bleibt der Zeuge dabei. "Eine Vorstrafe wegen Vortäuschung einer Straftat ist, glaube ich, schlechter, als zu sagen, dass man ein Verbrechensopfer geworden ist", merkt Sampt an.

Ausgiebiger Alkoholkonsum mit Zufallsbekanntem

Vom Angeklagten will J. 5000 Euro, seine Chancen darauf reduzieren sich mit dem nächsten Zeugen aber deutlich. Der 27-jährige Kevin B. war der Zechkumpan des Verletzten. Trotz des angeblichen Dienstschlusses um 21 Uhr hat B. ihn interessanterweise zwischen 20 und 21 Uhr in einem anderen Lokal am Gürtel zufällig kennengelernt. Man becherte ordentlich, der Zeuge kann nicht einmal mehr annähernd sagen, wie viel. Man wechselte schließlich ins "Einfach so", auch bezüglich der Uhrzeit versagen die Synapsen.

Er habe jedenfalls bei der Ankunft von H. den Blickkontakt zwischen dem Angeklagten und J. bemerkt. "Da habe ich mir gedacht, dass das keine Freunde sind." Tatsächlich hätten bald darauf wechselseitige Beschimpfungen begonnen. An das "Sobieski-Schwein" kann er sich nicht mehr erinnern, an "Wichser" sehr wohl.

Einmal habe H. wütend einen Barhocker gehoben. "Hat er ihn nicht geworfen? Herr J. hat gesagt, Sie hätten ihn abgefangen?", fragt der Richter nach. "Ich glaube nicht, dass ich zum Abfangen noch fähig gewesen wäre", widerspricht der gut gelaunte Zeuge. Schließlich sei er grußlos gegangen, da er nicht in die Streiterei verwickelt werden wollte – zu diesem Zeitpunkt sei J. noch unverletzt gewesen.

Verletzter lehnte Hilfe ab

Zuletzt verliest Sampt noch die Aussage der Kellnerin. Die erinnert sich, das J. schon alkoholisiert gekommen sei und im Lokal weitere zehn Gläser Wein getrunken habe. Wortgefechte habe sie mitbekommen, nach Mitternacht sei das Opfer schon schwer illuminiert gewesen, über die Stufe gestolpert und mit voller Wucht auf sein Gesicht gefallen. Sie habe die Rettung gerufen, deren Dienste J. allerdings ablehnte. Danach sei er verschwunden.

Der Ausgang des Verfahrens ist damit klar: H. wird nicht rechtskräftig freigesprochen ."Herr J. hat seine Version mehrmals geändert. Vielleicht haben Sie zugeschlagen, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Sie überhaupt der Angreifer gewesen sind", begründet Sampt. (Michael Möseneder, 29.6.2018)