28. Juni 2018, gegen 14.45 Uhr, Frankfurter Flughafen: Joachim Löw und die Mannschaft sind daheim – auch für den Geschmack der Fans um mehr als zwei Wochen zu früh.

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Er könnte uns abgehen. Denn Jogi Löw – der sein nicht nur ballesterisches Licht gerne unter den Scheffel seines so harmlos heimelig klingenden, wie nach Zimt riechenden Schwarzwälder Zungenschlages stellt – ist in den vergangenen zwölf Jahren etwas geradezu Wunderbares gelungen. Er hat dem deutschen Fußball einen eigenen Akzent verliehen, der so gar nicht badisch klingt. Sondern weltläufig elegant.

Einen trefflichen Namen hat man für diese neue, Löw'sche Weise des Kickens – die alte hatte viel mit Physis und bürokratischem Bestemm zu tun – nicht gefunden. Vielleicht gelingt das jetzt, im Rückblick. Sozusagen ex negativo.

Gewiss

Denn eines ist gewiss: Was die müden, ja schläfrigen, ausgelaugten, lustlosen, hosenscheißerischen deutschen Kicker bei dieser WM auf den Platz gebracht haben, war das Gegenteil dessen, was Joachim Löw seit Jahr und Tag gepredigt hat. "Wir wollen", hat er 2010 vor der südafrikanischen WM in der Hamburger Zeit versprochen, "wir werden Fußball spielen, nicht Fußball verwalten."

Nun hat man Letzteres versucht. Aber selbst das misslang sensationell deutlich. Deutschland schied – erstmals in der langen, glorreichen Fußballgeschichte – als Gruppenletzter aus der WM. Mit drei Punkten. Und das spiegelte die auf dem Platz gelegene Wahrheit wirklichkeitstreu.

"Liebe Fans!", twitterte das deutsche Team darum am Donnerstag: "Es tut uns leid, dass wir nicht wie Weltmeister gespielt haben. Daher sind wir auch verdient ausgeschieden." Viel mehr lässt sich wohl auch nicht sagen.

Ursachensuche

Sechsmal seit dem Sommermärchen 2006 hat diese Löw'sche Mannschaft bei EMs und WMs zumindest das Halbfinale erreicht. Nach Russland reiste man als Weltmeister. Die Fallhöhe war also entsprechend. Die Gründe für die historische Blamage von "La Mannschaft" sind vielschichtig, gewiss. Und sie werden Löw, seine Kollegen und seine Spieler noch bis in die Albträume hinein verfolgen.

Die Verjüngung des Teams entlang der altgedienten Achse von Manuel Neuer über Jérôme Boateng und Mats Hummels, Sami Khedira, Toni Kroos und Mesut Özil bis Thomas Müller ist schlicht misslungen. Die alten Weltmeister waren noch dazu – und das zählt zum eher unerklärlichen Teil der Angelegenheit – in einer Weise neben sich, die dann nur mit der Schminke der Blasiertheit zu übertünchen war. Selbst unbestrittene Meister ihres Faches – sagen wir: Kroos – irrten, teils hilflos wirkend, über den Platz. Gegen Mexiko! Gegen Schweden! Gegen Südkorea! Torhüter Neuer, der gegen Südkorea selbst einen Fangpatzer gerade noch rauswatschen konnte, sagte: "Von uns allen war die Bereitschaft nicht groß genug."

Befeuert

Die aber wäre – war – die Grundtugend nicht nur, aber ganz besonders des deutschen Ballesterns. Bereit zu sein, sich hineinzuhauen ins Spiel, wie die Mexikaner, die Schweden, die Südkoreaner es getan haben. Dazu die aus vielen Erfolgen genährte Gewissheit, es immer mit allen aufnehmen und zur Not erzwingen zu können.

Davon blieb, befeuert durch das schöne, aber doch glückliche Siegestor gegen Schweden, die Hoffnung, man werde schon Glück haben. Wie so oft zuvor schon. Gary Lineker, einst englischer Weltklassestürmer, hat das ja bekanntlich in ein schönes Sprichwort gekleidet, das er nun per Twitter korrigierte: "... und am Ende gewinnen nicht mehr die Deutschen." Das war es, was Deutschland auch diesmal für sich ausgeschlossen zu haben scheint: dass das Glück auch nur ein Vogerl ist.

Pomadig und letschert

Eines, das sich durchaus locken lässt zuweilen. Aber sicher nicht durch ein Mittelfeld, das die Deutschen "pomadig" nennen und unsereins "letschert". Zuweilen hatte man den Eindruck, selbst einer wie Kroos versuche, sich unanspielbar zu positionieren; sogar einer wie Özil trabe einem verlorenen Ball bloß entnervt nach, niemand wagte den mutigen, unerwarteten Pass. "The Mannschaft" wurde beherrscht von etwas, für das sich die Angelsachsen ein treffliches Wort zurechtgelegt haben: "German Angst".

Das war es. German Angst vor dem Ballverlust, vor dem Fehlpass, vor dem Gegenstoß, vor dem kreativen Eigensinn, vor dem Zusammenputzen durch einen verärgerten Hummels. Vor sich selber. Daraus wuchs eine missmutige Disharmonie, innerhalb derer gar nichts mehr funktionierte. Dass deutsche Fußballer die Flinte ins Korn werfen – das mit ansehen zu müssen tat fast weh.

Ära Schland

Damit ging, sichtbar für alle, eine schöne Ära zu Ende. Wenn man will, die Ära von Schland. Dieses Wort, dessen Bedeutung weit übers Fußballspielen hinausreicht, meint einen spielerischen, optimistischen, freudvollen Fußball. Und der wiederum steht fürs Land. "Schland", abgeleitet von Schlachtrufen, in denen das stimmlose "Deut" untergeht, für das der Entertainer Stefan Raab das Patent hält.

Der Fußball des Joachim Löw hat dem Land einen Ausdruck gegeben, so wie die Fingerraute der Angela Merkel ein Symbol. Beides wird uns wohl abgehen. Die Zeiten werden härter.

Im Fußball sind harte Zeiten eh nicht die schlechtesten. In ihnen wächst das Neue. Dass Löw der Gärtner sein kann, darf man wohl ausschließen. Bis 2022 hat er einen Vertrag. Aber dass der zu halten sein wird, glaubt er am allerwenigsten. (Wolfgang Weisgram, 28.6. 2018)