Ich lerne Aaron bei einem Elternabend im Kindergarten unserer Söhne kennen. Als ich ihn auf seinen österreichisch/jüdisch klingenden Nachnamen anspreche, erzählt er mir sofort mit großer Begeisterung vom Leben seines Großvaters und dessen Wohnung in Wien. Ohne Zögern erklärt er sich zu einem längeren Gespräch bereit.

Aaron wuchs in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri auf, wohin sein Großvater Max 1938 von Wien aus emigrierte. In Wien hatte die Familie ein Damenschuhgeschäft im 2. Bezirk besessen. 

Großvater Max
Foto: Stella Schuhmacher

Haufenweise Schnitzel in St. Louis, Missouri

Großvater Max hat Wien und sein Leben dort geliebt. Oft hat er mit seinen Söhnen und Enkelkindern darüber gesprochen. Die Familie hat durch Kultur und österreichisches Essen die verlorene Heimat weiterleben lassen. Großvater Max war ein Fan der Wiener Sängerknaben, hat Schnitzel, Sachertorte und Kaffee mit Schlag besonders geschätzt und diese Vorlieben an seine Söhne und Enkel weitergegeben. Im Hotel Sacher in Wien scheint er ein häufiger Gast gewesen zu sein, wie er seiner Familie erzählte.  

Aaron erinnert sich mit fröhlich glitzernden Augen an seine Großmutter, die in St. Louis Schnitzel in beträchtlichen Mengen für die gesamte Familie zubereitete. Diese wurden dann von den Enkelkindern im ganzen Haus versteckt um zu vermeiden, dass man leer ausging, weil einem ein anderer beim Essen zuvorkam.

"Even now, a Wiener Schnitzel is a shared part of our family history, and eating it always takes me back to my childhood, and to the Vienna I never knew. – Of course, my brother and I searched all over Vienna for the very best schnitzel. I don't remember the names of the restaurants, but we enjoyed many schnitzels in our grandfather's memory during our visit."

Die Familie beschreibt Großvater Max' Gefühle in Bezug auf Österreich als "conflicted", gemischt. "They don’t think he was an angry man even though he had every reason to be. He very much liked a lot of Austrian culture", sagt Aaron.

Das Geschäft der Familie in Wien.
Foto: Stella Schuhmacher

Auf den Spuren der Vergangenheit

Aaron unternahm während seiner Universitätsjahre eine Reise nach Wien, um die Spuren seiner Familie mit Hilfe eines alten Fotos zu suchen:

"There is this picture that I have. It’s of my great-grandfather and his brother standing in front of their business, a women’s shoe-store. When I was little, I had to do a family history project, and I always had this picture that was given to me. When my brother and I went on this trip, we decided we wanted to take the picture with us and take our own picture in front of the store front ..."

Doch das Geschäft existierte nicht mehr. Aaron fand aber die Wohnung, in der die Familie gelebt hatte:

"I had this surreal feeling to be connected. I think of it like a movie, rubbing my hand on the door and thinking this is the door my grandfather touched when he was 12 years old."

Suche nach einer Verbindung

Aaron wuchs mit einer tiefen emotionalen Verbindung zu Wien auf. Er sagt, dass er sich auf dieser Reise in Wien auf eine Weise zu Hause gefühlt hat, wie es in St. Louis für ihn nie der Fall war. Vor allem mit dem Wien der Jahrhundertwende fühlt er sich besonders verbunden.

"I went to Vienna wanting to love it. Part of my joy in being there was I felt I was home in a way that I can’t describe, in a way that St. Louis never feels like home. Vienna is just where my grandfather came from ... We were looking for something and connected culturally, through music, cafes, experiences that our grandfather had shared with us." 

Aarons Nachname war immer sehr wichtig für ihn als er aufwuchs und Teil seiner Identität als gefühlsmäßiger Österreicher:

"It was hard to spell. Hard to pronounce. It was so tied to my identity. And so much of it was being Austrian. It wasn’t about being American."

Nicht alle Gefühle auf dieser Reise waren allerdings positiv und konfliktfrei.

"We didn’t feel comfortable talking about our Judaism and there is definitely a tension as well. Looking at people and wondering what their grandfathers were doing. There is always a feeling of mutual suspicion. What are they thinking? What were you doing during the war? Everything is so nice now, but it is the same group of people who was here 70 years ago."

Elie-Wiesel-Zitat am Jewish Community Center in Manhattan.
Foto: Stella Schuhmacher

"What has happened to us is now happening to others and what can we do?"

Diese Reise hatte eine befreiende Wirkung und Aaron denkt nicht mehr sehr viel darüber nach. Er plant aber mit seinen Kindern eine Reise nach Wien zu machen und ihnen die Stadt zu zeigen. Österreichische Politik interessiert ihn nicht besonders: "Everything bad that could happen has already happened. I know how this ends ...", sagt er.

In letzter Zeit setzt sich Aaron mit der individuellen Verantwortung in Krisenzeiten auseinander. Wie kann man mit gutem Beispiel vorangehen und denen helfen, die heute Verfolgung und Elend ausgesetzt sind?

"It is about setting an example ... how can we make a difference? Could we bring in one Syrian family and help them? It is very much on top of my mind right now. I don’t have a connection to the political part as much as the implications of it. What has happened to us is now happening to others and what can we do?" (Stella Schuhmacher, 16.7.2018)