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Die Polizei war in Annapolis mit einem Großaufgebot am Ort der Schießerei.

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Mindestens fünf Menschen sollen nach Angaben der Polizei ermordet worden sein, mehrere weitere sind teils schwer verletzt.

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Der erste Tweet war so kurz wie eindeutig. "Aktiver Schütze. 888 Bestgate. Bitte helft uns", schrieb Anthony Messenger, ein Praktikant der Capital Gazette, der Lokalzeitung der Stadt Annapolis – einer Kleinstadt mit historischen Kopfsteinpflastergassen und dem Bundesstaatenparlament Marylands im Zentrum.

Es dauerte nicht lange, da zeigten sämtliche Nachrichtensender des Landes Bilder eines fünfstöckigen Bürohauses, aus dem Menschen mit erhobenen Händen unter den wachsamen, argwöhnischen Blicken von Polizisten ins Freie liefen. Der Schütze, nach Angaben der Behörden ein 38-jähriger Mann namens Jarrod Ramos, soll gezielt den Großraum der Zeitungsredaktion angesteuert haben, wo er mit einer Schrotflinte fünf Menschen erschoss. Vier Journalisten zwischen Mitte fünfzig und Mitte sechzig und eine Marketingspezialistin starben. Es wären noch mehr Opfer zu beklagen gewesen, wäre Ramos nicht die Munition ausgegangen, schrieb Phil Davis, der Gerichtsreporter, auf der Website des Blatts.

Racheakt vermutet

"Es gibt nichts Schrecklicheres, als mit anhören zu müssen, wie neben dir jemand erschossen wird, während du dich unter deinem Schreibtisch wegduckst und der Schütze noch einmal nachlädt." Als alarmierte Polizisten das Gebäude stürmten, soll sich auch der Angreifer unter einem Schreibtisch versteckt haben. Was ihn zu seiner Wahnsinnstat trieb, glaubt man zumindest ansatzweise zu wissen.

Der Computerexperte, sechs Jahre bei einer Statistikbehörde beschäftigt, nahm der Zeitung übel, was sie im Juli 2011 über ihn geschrieben hatte. Unter der Überschrift "Jarrod möchte dein Freund sein" schilderte einer ihrer Redakteure, wie Ramos vergebens die Nähe einer Frau suchte, mit der er einst im selben Klassenzimmer gesessen hatte. Zunächst versuchte er per Freundschaftsanfrage auf Facebook Kontakt zu ihr aufzunehmen. Als sie ihm die kalte Schulter zeigte, wurde er aufdringlicher im Ton.

Mal beschimpfte er sie, mal flehte er um ihre Hilfe, mal riet er ihr voller Wut, sich umzubringen. So hatte es die Kolumne skizziert, worauf er Klage einreichte: Man habe seinen Ruf zerstört und obendrein seine Privatsphäre verletzt. Von einer Richterin aufgefordert, vermeintliche Ungenauigkeiten in besagtem Artikel konkret zu benennen, konnte er keine Beispiele anführen. Ramos verlor den Fall, es schien Gras über die Sache zu wachsen.

Anti-Medien-Rhetorik Trumps

Nun aber stellt sich die Frage, ob die polemische Art, auf die Donald Trump nahezu täglich über die "Fake-News-Medien" herzieht, zu seinem Entschluss beigetragen hat, die Redaktion zu attackieren. Es ist eine Frage, auf die es vorläufig keine Antworten gibt.

Die Ermittler wissen nicht, ob es neben der alten Geschichte ein zusätzliches Motiv gab, ob sich kurz vor dem Angriff etwas zutrug, was eine Kurzschlussreaktion auslöste. Tom Marquardt, ehemals Verleger derGazette, deren Wurzeln bis ins Jahr 1727 zurückgehen, als Annapolis noch eine britische Kolonialstadt in Übersee war, hatte nach eigenen Worten schon seit längerem ein ungutes Gefühl. Ihn habe die Sorge umgetrieben, dass dieser Mann zu ganz anderen Mitteln als zu jenen des Rechts greifen könnte, schreibt er bei Facebook. Mord- und Bombendrohungen habe es bereits früher gegeben, die habe man mit einem Achselzucken abgetan, es schien Teil des Berufslebens der Branche zu sein. "Zu meiner Zeit", fügt der Altverleger verbittert hinzu, "haben die Leute protestiert, indem sie Leserbriefe schrieben. Heute tut man es anscheinend durch den Lauf eines Gewehrs."

Beileid aus dem Weißen Haus

Trump drückte umgehend via Twitter sein Mitgefühl für die Hinterbliebenen aus und verurteilte die Tat. Seine Sprecherin Sarah Sanders schrieb: "Ein gewalttätiger Angriff auf unschuldige Journalisten ist ein Angriff auf alle Amerikaner."

Kanadas Premierminister Justin Trudeau trauerte mit den Menschen im Nachbarland. "Journalisten erzählen die Geschichten aus unseren Gemeinden, sie schützen die Demokratien, und oft genug setzen sie ihr Leben aufs Spiel."

Die Überlebenden der Redaktion in Annapolis haben ihren Job einfach weitergemacht. Auch und gerade am Tag nach den schrecklichen Ereignissen sollte die "Capital Gazette" erscheinen. (Frank Herrmann aus Washington, 29.6.2018)