Das Ergebnis des EU-Gipfels ins Sachen Asyl ist sowohl für Angela Merkel als auch für Sebastian Kurz ein Gewinn.

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Nach der Einigung ist vor dem neuen Streit. Auf diese Formel kann man die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel zu ihrer "neuen" gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik getrost bringen. Die nächsten Monate werden zeigen, dass die Konflikte zu diesem Thema, die in Deutschland zur schweren Koalitionskrise bis hart an die Grenze des Bruchs geführt haben, noch lange nicht ausgestanden sind.

Da mag der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz noch so oft von einer "Trendwende" sprechen. Oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mag "substanzielle Fortschritte" beschwören, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seinen Hit von der "verantwortlichen Solidarität" abspielen: Die neue Einigkeit wurde in vielen Bereichen nur auf dem Papier erzielt. Das hatte man schon oft.

Geändert hat sich der Tonfall, was die Abwehr illegaler Migration im Mittelmeer betrifft: Sie soll nun rigoros durchgezogen werden, bis hin zur Schaffung von Landungsplattformen in Afrika. Man hat vor allem Zeit gewonnen. Österreichs EU-Vorsitz wird Migration als Hauptthema haben. Das ist vor allem für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wichtig. Sie verfügt nun wieder über etwas mehr Raum, die Angriffe ihres Koalitionspartners CSU und ihres Innenministers Horst Seehofer zu parieren. Dafür hatte sie eine "europäische Lösung" versprochen, weil Seehofer ansonsten Asylwerber aus Südeuropa und illegale Migranten ohne Prüfung abweisen will.

Hat die Kanzlerin geliefert? Die Antwort ist ein klares Jein. Sie hat eine Art "unechte" europäische Lösung gefunden, wie sie das oft gemacht hat: Bilaterale Abkommen zwischen EU-Staaten sollen helfen, die administrativen Probleme mit "sekundärer Migration" zu lösen. Die darf nun ihr Innenminister im Detail aushandeln. Damit wird er monatelang beschäftigt sein.

Geht man die Schlusserklärungen Punkt für Punkt durch, so wird rasch klar, dass die meisten Einzelvorschläge nicht so neu sind, wie sie scheinen. Das meiste davon wurde in den vergangenen zwei Jahren in diversen Gipfeldokumenten, Kommissions- oder Parlamentsinitiativen formuliert und erwogen oder wurde sogar getestet – ohne Erfolg. Die Schaffung von "Hotspots", also Lagern zur Ersterfassung von Asylwerbern in jenen südeuropäischen Ländern, in denen seit 2015 die meisten Migranten über das Mittelmeer ankommen, gab es längst: in Griechenland und Italien. Sie wurden mit vielen hundert Millionen Euro aus EU-Töpfen subventioniert – ohne Effekt.

Das Problem ist seit Jahren dasselbe: Es hapert am Unwillen, das Vereinbarte im Sinne der EU-Regeln auch umzusetzen. Das zieht sich durch fast alle Staaten. Deshalb sind Vorschläge der gemeinsamen EU-Institutionen wie Kommission und EU-Parlament zu Reformen bei den Dublin- und Schengen-Regeln auch durchgefallen. Die Weigerung der ungarischen Regierung in Sachen verpflichtende Aufteilung von Asylwerbern auf alle EU-Staaten ist nur ein prominentes Beispiel für die Sabotage aus den eigenen Reihen. Andere Staaten haben sich dahinter (zu) lange versteckt.

Apropos Viktor Orbán: Sogar er war mit dem Ergebnis des Gipfels hochzufrieden. Kein Wunder. Bei der Umsiedelung akzeptierter Asylwerber in alle EU-Staaten gibt es sogar einen Rückschritt: Die obligatorische Pflicht ist plötzlich wieder eine "freiwillige Verantwortung". Das hatten wir schon mal: im Frühjahr 2015. (Thomas Mayer, 29.6.2018)