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Die Frage, ob Ingeborg Bachmanns "Malina" unter dem Gesichtspunkt der Zielgruppenorientierung heute verlegt werden würde, muss offen bleiben. Die Tage der deutschsprachigen Literatur (TddL) finden in Klagenfurt von 4. bis 8. Juli statt.

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Nichts entkommt dem Kapitalismus. Der allgegenwärtigen Vermarktung oder, um es mit Proust zu sagen, der universellen Prostitution. Das ist nicht neu. Und Ingeborg Bachmann war in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ganz sicher nicht die Erste, die das Monströse sah in der Tatsache, dass etwas so Persönliches und oft auch Privates, etwas so Lebendiges, dem Körper noch so Anhaftendes wie Literatur, dass Kunst als Ware auf einem Markt gehandelt, auf Messen feilgeboten wird: "Hier sehen Sie die Vertreter des Buchhandels, aber damit meine ich nicht diesen ehrenwerten Beruf, der diese Bezeichnung auf die gewöhnliche Art verdient, sondern vielmehr eine Welt, in der der Buchhandel zum Menschenhandel ausgeartet ist." Die Leute hätten "ja keinen Fetzen mehr von dem an sich, was man früher einmal Anstand genannt hätte. Sie haben Neugier, Gleichgültigkeit, sie brauchen Stoff."

Bereits ein paar Seiten vorher heißt es im Kapitel "Auf der Frankfurter Buchmesse" in Das Buch Goldmann, das 2017 im Rahmen der Salzburger Bachmann-Edition veröffentlich wurde: "... und wenn dies hier in Frankfurt auch nur eine kleine, unendlich beschränkte Welt ist, die sich zwar für wichtig hält, so gehe ich doch verwundert durch, wie durch ein Schlachthaus, und während man unter anmutigen Neckereien, Witzeerzählen, Abmachungen, Artigkeiten, und Bosheiten alle gleichzuwalzen scheint, vergesse ich doch nicht das nackte Entsetzen, die Schreie, das Schluchzen, den brutalen Handel, die Fußtritte, die die Opfer der Literatur haben einstecken müssen, unter dem Druck der Zahlen, der Summen, der Auflagen, des Prestiges und des skrupellosen Ehrgeizes."

Die Zahlen sind diese: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verkündete Anfang Jänner, dass die Umsätze im gesamten Publikumsmarkt im Vergleich zum Vorjahr um zwei Prozent gesunken seien. Schon bei der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr war über die Lage am Buchmarkt heftig diskutiert worden. Sind die Umsatzzahlen "relativ stabil", wie es etwa vonseiten des S.-Fischer-Verlages hieß – oder wird mangelnde Rendite durch Überproduktion ausgeglichen, wird geschönt und verdrängt?

Teil eines riesigen Marktes

Wie dem auch sei: Die Buchbranche ist Teil eines riesigen Marktes, es gibt Konkurrenz, und es gilt, sich dagegen zu behaupten. Von dieser Warte aus gesehen ist es nur logisch, gezielt für den Markt zu produzieren. Man braucht Verkäufe, man braucht Umsätze, sonst gibt es, überspitzt gesagt, statt schlechter Bücher am Ende gar keine Bücher mehr. In einer Welt, die nach Marktgesetzen funktioniert, nach der Logik von Angebot und Nachfrage, ist das nur natürlich. Wohl jedes Verlagsprogramm, jeder Spielplan eines halbwegs großen Theaters, jede Ausstellung in einem Museum ist geformt und geprägt von diesen Gesetzen. Wie sollte es anders sein in einer Welt, in der sogar Menschen zur Ware degradiert werden? Die "Vision (...), dass alle Ereignisse und Verhältnisse der Lebenswelt mit einem Marktwert ausgestattet werden könnten", wie es in Joseph Vogls 2011 erschienenem Buch Das Gespenst des Kapitals heißt, entwickelt sich von der Möglichkeit immer mehr in Richtung Realität.

Zur Zurichtung literarischer Erzeugnisse können auch so- genannte Literatur-Agenturen beitragen. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts nehmen diese Agenturen eine Vermittlerrolle zwischen Autorin oder Autor und Verlag ein. Das ist durchaus sinnvoll und war an sich eine Idee der Autoren und Autorinnen selbst: Sie konnten sich so ganz auf das Schreiben konzentrieren, während die Agentur die Vermarktung ihrer Werke übernahm und ihre Interessen gegenüber den Verlagen wahrnahm. Viele literarische Agentinnen und Agenten nehmen auch heute noch genau diese Aufgabe wahr: Sie unterstützen den Autor oder die Autorin und setzen sich für sein oder ihr Werk ein.

Agenten der Literatur

Die Agentur ist so etwas wie das Scharnier zwischen ihnen und den Verlagen – sie kann im schlimmsten Fall aber auch die Funktion eines Nadelöhrs ausüben: Durch kommt erst, was markttauglich genug ist. Eine Berliner Agentur schreibt etwa auf ihrer Homepage: "Wir sagen Ihnen, wie wir den Text einschätzen. Wir empfehlen Ihnen gegebenenfalls ein Genre und den Umfang. Des Weiteren überlegen wir uns einen möglichen Plot (bei einem Roman) oder eine mögliche Struktur (bei einem Sachbuch). Wir geben Ihnen Tipps und machen Vorschläge, wie Sie fortfahren könnten. Ziel ist es, das Manuskript auf dem Buchmarkt bestmöglich zu platzieren. Nur so kann ihm von vornherein maximaler Erfolg ermöglicht werden."

Was an eine Bastelanleitung erinnert ("In zehn Schritten zum Bestseller. Schreiben für Jedermann"), führt mit Sicherheit oft genug zum "maximalen" Erfolg (wenn man denn Verkaufszahlen als Maßstab hat). Theoretisch (und allzu oft auch praktisch) bedeutet das aber, dass bestehende Werke zugeschnitten werden müssen – oder gleich von vorneherein für den Markt geschrieben werden und andere Kriterien als jene der sprachlichen, literarischen und gedanklichen Qualität wichtig werden.

Bitte keine Missverständnisse

Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich ist nicht jedes Buch, das herauskommt, große Literatur, das muss auch gar nicht sein. Es gibt auch so etwas wie Gebrauchsliteratur, es gibt Menschen, die davon leben müssen, und nichts ist verwerflich daran, so sein Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Jeder Mensch muss von etwas leben, und auch Autoren und Autorinnen, Künstlerinnen und Künstler müssen und sollen für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden. Es stellt sich nur die Frage, ob nicht ein System entstanden ist, das flächendeckend Literatur (und überhaupt Kunstproduktion) in ein Schema presst, das mehr oder weniger unverhohlen auf den Markt schielt. Wer einen großen Namen hat, bleibt davon noch am ehesten verschont, schließlich ist es hier der Name, der sich verkauft.

Blättert man aber die Verlagsprogramme durch und wirft einen Blick auf die Debüts, die Bücher unbekannter und/oder junger Autorinnen und Autoren, kann man das Schema gut durchscheinen sehen. Junge Frauen etwa haben nicht nur oft ein begrenztes Themenspektrum (nämlich großteils: Frauenthemen). Die Germanistin Veronika Schuchter, die an der Uni Innsbruck ein Forschungsprojekt zu "Gender in der Literaturkritik" leitet, stellte in einem Interview im Deutschlandfunk auch "zwei Inszenierungsstrategien" fest: das "Fräuleinwunder" à la Judith Herrmann – oder eine "junge, moderne, sexy und feminine Linie", wie etwa bei Vea Kaiser.

Wenn Inhalte und Autor (-innen) oft seltsam uniform erscheinen, dann hat das durchaus auch mit dem Markt dahinter zu tun. Was hier zählt, sind Fragen wie: Wie lässt sich das kurz und verständlich bewerben, am besten in drei Sätzen – oder gleich ohne Worte, mit der Person der Autorin? Mit welcher sogenannten Lebensrealität hat dieses Buch zu tun, sprich: Welcher Zielgruppe kann man es anbieten? Man fragt sich oft schaudernd, ob, nur als Beispiel, Gabriel García Márquez' Hundert Jahre Einsamkeit, ob Musils Mann ohne Eigenschaften, ob Ingeborg Bachmanns Malina unter diesen Gesichtspunkten jemals verlegt worden wären. Versuchen Sie einmal, Malina sinnvoll in drei Sätzen wiederzugeben. Das ist vielleicht möglich – mit dem Buch und dem, wofür es steht, hat das aber nicht mehr viel zu tun. Geschweige denn mit dem literarischen, gedanklichen Wert des Textes.

PR-optimiert und einzigartig

In dieser PR-optimierten Zielgruppenorientierung kann man erkennen, was Andreas Reckwitz in Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne für unsere spätmoderne Gegenwart konstatiert: Was, auch und vor allem ökonomisch, zähle, ist das Besondere, das Einzigartige. Er schreibt darin etwa den schönen Satz: "Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert." Und für all diese Menschen, die sich selbst als eine solche Einzigartigkeit wahrnehmen, die ihre Leben von der Brotdose über die Socken bis zur Lektüre kuratieren, muss der Markt die entsprechenden Konsumgüter anbieten. Für jede "Singularität" hat der gut sortierte Buchhandel etwas im Angebot: Vegetarier und Feministinnen, Radfahrer oder Tätowierte, Fußballfans oder Plattenliebhaberinnen, die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Man bekommt, sofern man das möchte, jederzeit das perfekt auf einen selbst zugeschnittene Produkt. Die Frage ist nur, ob man das will – und wo da Kunst und Literatur bleiben.

Reckwitz erinnert in seiner (übrigens sehr lesenswerten, für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten) Studie noch an etwas anderes: dass Literatur, allgemein "die Kunst" und "der Markt" ohnehin nie die großen Antagonisten waren, als die sie – zumal von der Kunst selbst – gerne dargestellt werden. Seit dem deutschen Idealismus, fasst er zusammen, "ist eine Denktradition prägend, die das Kunstwerk und die Kunst insgesamt zum Anderen der Moderne erhebt, zu einer Gegenkraft der kapitalistischen Ökonomie". Doch das ist nur Illusion, Pose, "eine Mystifizierung der Kunst". "Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Wenn es in der Moderne einen gesellschaftlichen Bereich gibt, der schon sehr früh, namentlich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, die Strukturmerkmale einer Ökonomie der Singularitäten entfaltet hat, dann ist es das Feld der Künste.

Die Kunst brauchte nicht erst nachträglich – etwa durch die Kulturindustrie seit den 1920er-Jahren oder den globalen Kunstmarkt seit den 1990ern – ökonomisiert werden, sie war von Anfang an in einer Drastik vermarktlicht, das heißt kulturökonomisiert, wie kein anderes Feld der modernen Gesellschaft." Das heißt: Ausgerechnet die Kunst, die, in Gemälden wie in Romanen, Theaterstücken oder Performances, immer so gerne vulgäre Profitmaximierung und spätkapitalistische (Selbst-)Vermarktungspraxis anprangert, war auch in diesem Feld einst die Avantgarde. Und der Künstler so etwas wie die erste Ich-AG. Man denke, bitte, nur an Albrecht Dürer in der Messias-Pose – eine Werbe-Ikone, wie Jahrhunderte spä- ter "die Bachmann" auf dem Spiegel-Cover.

Der Einfluss des Marktes

Erstaunlich ist nur, wie sehr der Einfluss des Marktes und seiner Paradigmen oft verschleiert bleibt. In der Süddeutschen Zeitung sprachen im Sommer 2017 vier junge Autorinnen über den Sexismus im Literaturbetrieb. Diesen Sexismus gibt es selbstverständlich, und es ist gut und wichtig, dass darüber gesprochen wird. Aber die Schriftstellerinnen (zumindest erweckt das redigierte und gedruckte Interview den Eindruck) sehen etwas sehr Wichtiges nicht, sie haben einen blinden Fleck: Das Geschlecht, in diesem Fall das weibliche, ist nicht nur Objekt sexistischen Verhaltens. Es entspricht auch, in der Ökonomie der Singularitäten, einer verwertbaren Eigenschaft – es ist ein Vermarktungsfaktor.

"Mir hat vor ein paar Jahren jemand gesteckt, dass ich vor allem deshalb zu einer Lesung eingeladen wurde, weil sie zwischen lauter älteren Lyrikern gerne noch eine junge, hübsche Frau mit angenehmer Stimme lesen lassen wollten", erzählt da etwa Lyrikerin Kathrin Bach von ihren Erfahrungen im Literaturbetrieb. Ist das sexistisch? Höchstwahrscheinlich. Dennoch greift diese Benennung zu kurz, denn es geht hier nur in Teilen um Sexismus. Eher handelt es sich wohl um einen Fall von sexistischer Ökonomie. Man kann davon ausgehen, dass Kathrin Bach nicht einfach wegen ihres Äußeren gebucht wurde. Sie wurde gebucht, weil man sich von ihrem Äußeren einen Marktvorteil versprach.

Die Felder sind nicht so einfach voneinander zu trennen, und waren es vermutlich nie. In Zeiten, in denen aber so gut wie alles verwertbar sein kann, darf und soll, sind die Grenzen nicht nur fließend, sie lösen sich zunehmend auf. Oder, wie es bei Reckwitz heißt: "Ökonomie und Kultur als Antipoden zu denken – Kommerz versus Wert, Effizienz versus Gefühl, Bourgeoisie versus Künstlerboheme – war ein Gemeinplatz der Moderne. In der spätmodernen Ökonomie der Singularitäten bilden Kulturalisierung und Ökonomisierung jedoch keinen Gegensatz mehr, sondern gehen eine machtvolle Synthese ein." Mit Feindbildern und Beharren auf Dualismen und Gegensätzen kommt man da nicht weiter.

Es ist wohl einfach so, dass das ökonomische Denken zur Conditio humana gehört, so wie alles andere auch: Kreativität, Genie oder Innovation, aber eben auch Sexismus, Gier und Größenwahn. "Der ökonomische Mensch ist ein Spezialist der Anfänge und Situationen", heißt es bei Joseph Vogl, "und er ist es deshalb, weil er die Dinge der Welt nicht nach wahr und falsch, gut und böse, gerecht und ungerecht sortiert, sondern nach den Kriterien von Gewinn und Verlust verfährt." So ist der Mensch eben (auch), und gerade die Kunst hätte die Aufgabe, nicht nur offen über diese Conditio humana zu reden (was sie oft genug tut), sondern auch darüber, dass sie selbst ein nicht unwichtiger Teil des Ganzen ist. Es geht also wohl ein Stück weit darum, die vermeintliche Beobachterposition aufzugeben, nicht länger so zu tun, als befände man sich außerhalb oder vielleicht sogar über den Verhältnissen.

Genie und Vermarktungswille

Denn davon kann man ausgehen: Nicht alles, was Bühnen, Museen oder Verlage herausbringen, steht aus purer Überzeugung, aus reinem Idealismus auf dem Programm. Kunst ist nicht nur das Produkt von Genie und Können, sondern auch das von Vermarktungswille und Berechnung. Natürlich verkaufen die Werbetexte das gerne anders – aber das müssen sie tun, so funktioniert PR. Die Konsumentinnen und Konsumenten können die Zeichen lesen, sie können in der Regel unterscheiden zwischen den realen Produktionsbedingungen und der schönen Erzählung, die darum herum gepackt wird. Dennoch wird auf eine geradezu verschämte Art weiter so getan, als ginge es hier nicht ums Geld. Dabei braucht jeder Mensch Geld – und jede Institution auch. Kunst kostet ganz einfach. Umsonst ist nur der Tod, und der kostet das Leben, sagt das Sprichwort. Joseph Vogl sagt, und zwar im Gespenst des Kapitals: Erst der Tod ist das "Untauschbare", das "Ende aller Transaktionen".

Trotzdem wehrt sich das Gefühl dagegen – auch die Kunst nichts weiter als ein schnödes Tauschgeschäft, Teil der banalen Verwertungslogik, von der alles postmoderne Sein bestimmt zu sein scheint? So schön ist die Erzählung, an der nicht zuletzt die Weimarer Klassik erfolgreich gewebt hat, dass man es nicht glauben mag – sollte das Wahre am Ende käuflich sein, das Schöne, das Gute einen Marktwert haben? Diesen (zumindest gefühlten) Widerspruch zwischen Verwertungslogik und Kunstschaffen, den wird man vermutlich niemals ganz auflösen können. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, wie die Kunst (als Überbegriff, der natürlich für sich schon eine verkürzende Zumutung ist) es mit dem Kapitalismus halten soll.

Aber es wäre schön, wenn sie ein wenig ehrlicher damit umgehen würde. Nicht, dass nicht viele Künstlerinnen und Künstler das längst täten. Nur: Je näher sich Kunst und Geld kommen, desto mehr wird diese Nähe oft verschleiert. Dabei verspräche genau das neue Erkenntnisse, nicht zuletzt über den Kapitalismus und darüber, wie er funktioniert: wenn Künstlerinnen und Künstler die eigene, durchaus tragende Rolle in diesem System betrachten. (Andrea Heinz, 2.7.2018)