Die einzig real existierende Elektromobilität – abgesehen von Zügen – ist das Pedelec. Trotzdem sind E-Bikes manchen zu langsam.

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Innsbruck – Angesichts der Absatzzahlen erübrigt sich jede Diskussion zum Thema E-Bike. Seit 2012 boomen Pedelecs, wie sie eigentlich heißen, und sorgen für klingelnde Kassen bei Herstellern und Händlern. Allein 2017 wurden in Österreich rund 120.000 elektrisch betriebene Fahrräder verkauft. Der Anteil der E-Bikes am Gesamtmarkt nähert sich hierzulande dem Drittelwert – Tendenz weiter steigend.

"Langfristig wird jedes zweite Fahrrad ein E-Bike sein. Warum? Weil es Sinn macht", prognostiziert Claus Fleischer, Geschäftsführer beim Motorenhersteller Bosch, der als Marktführer bei den E-Bike-Antriebssystemen gilt. Die elektrisch unterstützten Fahrräder seien nicht umsonst die einzige echte Form der Elektromobilität, so der Experte. Während der Umstieg auf E-Antrieb bei Autos und Motorrädern nur schleppend bis gar nicht funktioniert, ist er bei Radln längst passiert.

E-Norm aus dem Jahr 1995

Und die Wachstumsprognosen sind mehr als rosig. Denn bislang beschränkt sich dieser E-Bike-Boom vor allem auf die deutschsprachigen Länder und die Niederlande. Langsam beginnen nun auch Franzosen, Briten und Skandinavier die Vorteile der Pedelecs zu entdecken, erklärt Fleischer. Der nordamerikanische Markt liegt hingegen aufgrund schwieriger rechtlicher Rahmenbedingungen noch völlig brach. Die Lobbyisten der großen Hersteller arbeiten aber schon fleißig daran, alsbald über den großen Teich zu expandieren.

In Europa nimmt indes im Zuge des anhaltenden Trends zum Pedelec die Diskussion um die Maximalgeschwindigkeit derselben Fahrt auf. Denn das klassische E-Bike ist durch eine E-Norm aus dem Jahre 1995 bei maximal 25 km/h und 250 Watt Nenndauerleistung abgeriegelt. Eine Bestimmung, die auf eine Zeit zurückgeht, in der Pedelecs noch Zukunftsmusik waren.

30 bis 35 km/h wären sinnvoller

Diese Beschränkung sei ein Hemmschuh, sagen viele Hersteller wie etwa Stefan Vollbach von der Vorarlberger Bikeschmiede Simplon, und sie fordern eine Auf- oder zumindest Anhebung der maximalen Geschwindigkeit auf 30 bis 35 km/h. "Die erreicht man auch mit einem herkömmlichen Fahrrad problemlos, bergab durchaus auch mehr", argumentiert Vollbach. Gerade für Pendler, die mehr als zehn Kilometer in die Arbeit fahren müssen, wäre eine höhere Geschwindigkeit hilfreich. Damit würden Pedelecs noch attraktiver als Autoersatz, glaubt der Simplon-Chef.

Bosch-CEO Fleischer kann die Argumentation nachvollziehen, warnt aber vor den Folgen einer solchen Anhebung: "Bei über 25 km/h kommt die Zweiradverordnung zum Tragen." Dann würden plötzlich Themen wie Kennzeichen-, Helm- und Versicherungspflicht schlagend. "Wir warnen davor, den Status Fahrrad anzugreifen", sagt Fleischer. Die damit einhergehende Überreglementierung würde dem Radfahren als Form der Mobilität mehr schaden als nutzen.

Bürokratie vs. S-Pedelecs

In der Schweiz und den Niederlanden sind sogenannte S-Pedelecs, die schneller als 25 km/h fahren, bereits Realität. Bei den Eidgenossen liegt ihr Anteil unter den elektrisch unterstützten Bikes bei rund 16 Prozent. Kennzeichen, Versicherung und Helm sind für S-Pedelecs obligatorisch. In den Niederlanden wurden sie nun sogar von den Radwegen verbannt wegen der zu hohen Geschwindigkeit. Vor allem Pendler mit weiteren Arbeitswegen nutzen diese schnellere Variante des E-Bikes. In Österreich und den meisten anderen europäischen Staaten seien die genannten bürokratischen Hürden für S-Pedelecs zu hoch, heißt es seitens der Hersteller.

Bosch-Chef Fleischer ist überzeugt, dass es langfristig keine S-Pedelecs brauche. Diese Rolle der schnelleren E-Mobilität würden E-Scooter und E-Autos übernehmen, sobald sie ihre Kinderkrankheiten überwunden haben. Fleischer hält die klassischen Pedelecs trotz Abriegelung für zukunftstauglich. Nun seien vielmehr die Verkehrsplaner gefragt, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Trend weiter zu beflügeln.

"In Deutschland gibt es 20 Millionen Pendler, von denen rund die Hälfte weniger als zehn Kilometer weite Arbeitswege hat", beschreibt er das Marktpotenzial. Die Politik sei nun gefordert, den Radfahrern mehr Platz zuzugestehen: "Es mangelt an sicherer Rad-Infrastruktur." Das umzusetzen bedeute aber, Platz beim motorisierten Verkehr abzuzwacken, um ihn den Radfahrern zukommen zu lassen. Der eingeforderte Mut werde aber auf jeden Fall belohnt, sagt Fleischer: "E-Bikes sind ein Trend, der auf die Themen Verkehr, Gesundheit und Umwelt einzahlt." (Steffen Arora, 29.6.2018)