Wenn die Welt zum Karussell wird, liegt die Ursache meist im Ohr. Aber auch die Psyche kann einen schwindelig machen.

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Die Welt fühlt sich an wie in einem Karussell. Sie dreht sich. Bäume, Häuser und Menschen rasen an einem vorbei, geraten scheinbar ins Wanken. Das irritierende Gefühl des Schwindels kennt nahezu jeder. In der Regel geht das Gefühl auch recht schnell und von ganz alleine wieder weg. Manchmal aber bleibt es – und dieses "manchmal" ist gar nicht so selten, wie viele denken.

"Neben Schmerzen gehört Schwindel tatsächlich zu einem der häufigsten Symptome, warum Menschen zum Arzt gehen", weiß Gerald Wiest, Facharzt für Neurologie und Leiter der Ambulanz für Gleichgewichtsstörungen an der Universitätsklinik für Neurologie am AKH Wien. Schwindelanfälle können einmalig oder wiederholt auftreten. Kommt es ganz schlimm, gehen sie nicht mehr weg.

Am häufigsten ausgelöst wird Schwindel durch Irritationen des Innenohrs. Beispielhaft ist hier der sogenannte gutartige Lagerungsschwindel. Er äußert sich in der Regel durch kurze Schwindelattacken. Verursacht wird der Lagerungsschwindel durch die Otokonien. "Das sind winzige Kalziumkarbonatkristalle, die sich im Vorhof der Bogengänge unseres Innenohrs befinden", erklärt Neurologe Wiest. Die Bogengänge, drei miteinander verbundene, mit Flüssigkeit gefüllte Schläuche, helfen unserem Gleichgewichtsorgan, Drehbewegungen wahrzunehmen. Rutschen die Kristalle – etwa, wenn wir uns im Bett umdrehen – in einen der Bogengänge, reizen sie die dort sitzenden Sinneszellen über einen Sogmechanismus und signalisieren dadurch unserem Gehirn ein Drehschwindelgefühl.

Sich von Kristallen befreien

Behandelt wird Lagerungsschwindel in der Regel mit sogenannten Befreiungsmanövern. Mittlerweile existiert für jeden betroffenen Bogengang ein eigenes Manöver, das nach dem jeweiligen "Erfinder" benannt wurde – etwa Epley-, Semont- oder Gufoni-Manöver. Ziel ist es, die Otokonien durch spezifische Bewegungen aus den Bogengängen zu lösen. "Sind die Kristalle einmal aus dem Bogengang befreit, hört auch der Schwindel auf", sagt Wiest. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: "Mit der richtigen Lagerungstechnik liegen die Erfolgsraten tatsächlich bei bis zu 80 Prozent", so Wiest.

Eine andere Ursache für Schwindel kann die Krankheit Morbus Menière sein. Bei der Erkrankung tritt der Schwindel meist in Schüben aus. Auch Menière-Attacken werden durch Irritationen im Innenohr verursacht. Verantwortlich für die "Irritation" sind die Schlauchsysteme in unserem Innenohr. "In ihnen befinden sich zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Zusammensetzung", erklärt Jens-Eduard Meyer, Chefarzt der Asklepios-Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie in Hamburg St. Georg.

Können diese nicht mehr richtig abfließen, kommt es zu einem Überdruck. Die Folge: Die Schlauchsysteme zerreißen, und durch den Flüssigkeitsausgleich wird uns schwindlig. Warum genau es zu dieser Druckerhöhung kommt, ist bislang nicht bekannt. Behandelt werden Menière-Patienten in der Regel mit Medikamenten.

Psychische Auslöser

Unser Gleichgewichtsorgan ist jedoch nicht immer der Schwindelverursacher. "Die zweithäufigste Ursache von Schwindel ist tatsächlich unsere Psyche", weiß Neurologe Wiest. Betroffen sind vor allem Menschen, die dazu tendieren, sich selbst beziehungsweise die Art, wie sie gehen und stehen, zu beobachten. Denn je stärker ein Mensch seine Bewegungen überwacht, desto unsicherer fühlen sich seine Schritte plötzlich an. "Aber auch Angststörungen und Depressionen können einen psychogenen Schwindel auslösen", so Wiest.

Ist die Psyche für die Schwindelattacke verantwortlich, können Psychopharmaka oder ein Gang zur Psycho- oder Verhaltenstherapie helfen. In der psychotherapeutischen Behandlung lernen die Betroffenen Methoden, die ihnen helfen, mit den schwindelauslösenden Situationen umzugehen oder zu verhindern, dass diese überhaupt entstehen. "Setzt der Schwindel plötzlich ein und treten dazu noch Lähmungen, Gefühls- und Schluckstörungen auf oder sehen Betroffene plötzlich doppelt, sollten sie allerdings ins Krankenhaus", rät Chefarzt Meyer: "Solche Symptome deuten auf einen Schlaganfall hin."

Über den Schwindel sprechen

In den meisten Fällen ist Schwindel jedoch nicht lebensbedrohlich. "Ist die Ursache erst mal geklärt, lässt er sich in gut 95 Prozent der Fälle behandeln", gibt Neurologe Wiest Entwarnung.

Findet der behandelnde Arzt keine Ursache, können sogenannte Schwindelsprechstunden helfen. Hier haben die Ärzte sich auf die Diagnostik und Behandlung von Schwindel spezialisiert. Denn auch wenn sich der Schwindel nicht therapieren lässt – etwa, weil der Gleichgewichtssinn des Innenohrs nachhaltig geschädigt ist, was tatsächlich sehr selten vorkommt –, hilft es Patienten, wenn sie die Ursache des Schwindels kennen. Zu wissen, was dahintersteckt, wirkt entlastend und kann helfen, mit dem Schwindel besser umzugehen. (Stella Marie Hombach, 2.7.2018)