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Der VfGH ließ offen, wie das dritte Geschlecht zu bezeichnen ist.

Foto: Peter Steffen/dpa

Wien – "Heute habe ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, als das anerkannt zu sein, was ich bin. So, wie ich geboren wurde." Alex Jürgen hat für sich und Österreich erkämpft, dass Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, ein Recht auf eine entsprechende Eintragung im Personenstandsregister (ZPR) und in Urkunden haben.

Das hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Prüfung des Personenstandsgesetzes festgestellt und am Freitag bekannt gegeben. Eine Aufhebung des Gesetzes war nicht nötig, das Höchstgericht gab aber jetzt zwingend vor, wie das Gesetz verfassungskonform auszulegen ist.

Alex Jürgen aus Steyr ist seit dem Film Tintenfischalarm von Elisabeth Scharang aus dem Jahr 2006 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Das Porträt schilderte die Probleme von und Vorurteile gegen einen Menschen, der ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale geboren wurde. Seither lebt Alex Jürgen offen als intergeschlechtliche Person.

Das Geburtenregister weist Alex Jürgen als Mann aus, andere Schriftstücke als Frau. In vielen Interviews präferierte Jürgen das Personalpronom "er" oder "Sagen Sie Herm zu mir, das kommt von Hermaphrodit".

Anlehnung an Menschenrechtskonvention

Nicht nur das Standesamt Steyr hatte in der Vergangenheit den Antrag Jürgens abgewiesen, im Personenstandsregister das Geschlecht neutral zu formulieren. Auch das zuständige Landesverwaltungsgericht hatte abgelehnt. Deshalb der Gang vor den Verfassungsgerichtshof, wo jetzt anders entschieden wurde.

Der Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (die Achtung des Privat- und Familienlebens) gebiete auch, dass die menschliche Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität zu schützen ist – und somit bestehe ein "Recht auf individuelle Geschlechtsidentität", stellte der VfGH klar. Damit müssten Menschen aber nur jene Geschlechtszuschreibung durch staatliche Regelungen akzeptieren, die ihrer Identität entspricht. Art. 8 EMRK "schützt insbesondere Menschen mit alternativer Geschlechtsidentität vor einer fremdbestimmten Geschlechtszuweisung", steht im Erkenntnis.

Eva Matt, Juristin und Sprecherin der Plattform Intersex, ist nicht überrascht, dass der Verfassungsgerichtshof so entschieden hat. Die Freude ist trotzdem groß: "Endlich wird auch in Österreich die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen anerkannt." Dass sich die Geschlechtsidentität von intergeschlechtlichen Menschen auch im Personenstand widerspiegelt, sei überfällig gewesen. "Es ist anscheinend so, dass für gewisse Veränderungen in Österreich gerichtliche Entscheidungen notwendig sind", so Matt im Gespräch mit dem STANDARD.

"Divers", "inter" oder "offen"

Das Personenstandsgesetz muss wegen des VfGH-Entscheids nicht korrigiert werden. Es verpflichtet zwar zur Eintragung des Geschlechts in Personenstandsregister und -urkunden. Aber es beschränkt diese nicht auf männlich oder weiblich. Der Begriff des Geschlechts im Gesetz lasse sich "ohne Schwierigkeiten dahingehend verstehen, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten miteinschließt", urteilt das Höchstgericht.

Offen bleibt vorerst, wie die alternativen Geschlechtsformen in Urkunden zu bezeichnen sind. Das lasse sich den Gesetzen nicht entnehmen, konstatierten die Verfassungsrichter, wäre aber "unter Rückgriff auf den Sprachgebrauch möglich". Es gebe mehrere Begriffe wie "divers", "inter" oder "offen" – der Gesetzgeber könnte auch eine Formulierung vorgeben. Bei der Plattform Intersex würde man "inter" oder "divers" favorisieren. Das sei in der Community akzeptiert.

Matt rechnet damit, dass die Entscheidung zum Personenstandsgesetz auch andere Veränderungen nach sich ziehen werde, etwa bei der Unterbringung in Krankenhäusern. Die Plattform Intersex geht in Anlehnung an die Bioethikkommission davon aus, dass ungefähr 50 Personen pro Jahr als inter geboren werden und es 1,7 Prozent der Weltbevölkerung betrifft. Alltagsdiskriminerungen werden mit der Entscheidung natürlich nicht automatisch ausgelöscht, meint Matt. (Vanessa Gaigg, Michael Simoner, 29.6.2018)