Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz warnten Wikimedia und Epicenter.works vor der Urheberrechtsreform.

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Dimitar Dimitrov, Katherine Maher, Thomas Lohninger (v. li.:

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Bundesminister Gernot Blümel macht Stimmung für die EU-Urheberrechtsreform

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Innerhalb der Regierung kommt es offenbar zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der EU-Urheberrechtsrichtlinie. In einem Brief an EU-Abgeordnete, der dem STANDARD vorliegt, lobt Kulturminister Gernot Blümel die Bemühungen der EU-Abgeordneten, die ein Leistungsschutzrecht sowie Uploadfilter gegen Urheberrechtsverletzungen einführen wollen. Blümel spricht von einem Vorhaben, das "wesentlich für den Schutz geistigen Eigentums" und "ein unabdingbarer Schritt im asymmetrischen Wettbewerb mit den multi-nationalen Online-Giganten ist".

Die großen IT-Konzerne seien "kaum reguliert und erhalten keine kostenintensiven Redaktionen", nutzen "aber gleichzeitig die Inhalte jener gratis, die diese in professioneller und kostenintensiver Arbeit erstellen", so Blümel weiter. "Die österreichische Bundesregierung ist überzeugt, dass diese 'Copyright Directive' ein wichtiger und wesentlicher Schritt für Europa ist", sagt Blümel.

"Fortführen" und "alle Positionen berücksichtigen"

Er will die Arbeiten an der Richtlinie während der EU-Ratspräsidentschaft, die Österreich im Juli übernimmt, fortführen und "unter Berücksichtigung aller Positionen einen langen Diskurs zu Ende führen". Zu berücksichtigen hat Blümel auch eine Position des Regierungspartners: Dieser hatte sich vergangene Woche deutlich gegen die EU-Pläne gestellt.

FPÖ: "Halten Maßnahme für falsch"

Der freiheitliche Delegationsleiter im EU-Parlament Harald Vilimsky sprach davon, dass es ein Problem sei, Nutzer-Inhalte automatisch mit Uploadfiltern zu überprüfen. "De facto wäre das eine anlasslose Massenüberwachung mit dem potenziellen Risiko des Missbrauchs dieser Technologie, auch über den intendierten Zweck hinaus. In Abwägung mit den Interessen der Internet-User halten wir diese Maßnahme für falsch", schrieb Vilimsky in einer Aussendung. Die FPÖ stellte sich auch gegen das geplante Leistungsschutzrecht, das eine Verbreitung journalistischer Inhalte eindämmen will.

Mit ihrer Kritik ist die FPÖ beileibe nicht allein. Auch Sozialdemokraten und Grüne wollen die Urheberrechts-Reform verhindern. "Die Netzgemeinde macht seit Wochen sehr gutes Lobbying und hat es geschafft den Druck massiv zu erhöhen. Jetzt wackelt die Mehrheit für Uploadfilter im Europaparlament und Bundesminister Gernot Blümel will sie im letzten Moment noch retten", sagt der grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon zum STANDARD.

Wikimedia warnt

In einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien warnten am Freitag etwa die Grundrechts-NGO epicenter.works und Wikimedia Foundation, die Trägerorganisation der Online-Enzyklopädie Wikipedia, vor der aktuellen Urheberrechtsreform der EU. Besonders in dieser für das Internet "essenziellen" Zeit erkenne man die zentrale Rolle, in der sich Österreich mit der aufkommenden EU-Ratspräsidentschaft befände, sagt Katherine Maher, Geschäftsführerin von Wikimedia in San Francisco.

Auf massive Kritik stoßen aktuell Artikel 11 und Artikel 13 der Reform, die ein neues Leistungsschutzrecht und einen "Uploadfilter" vorsehen. Letzterer würde bedeuten, dass alle von Nutzer hochgeladenen Inhalte sich, noch bevor sie online gehen, künftig einer automatisierten Überprüfung stellen müssen. Auf diese Weise soll das Urheberrecht noch vor der Veröffentlichung gesichert werden.

Maher sieht eine Gefahr für "das offene Internet". Man begrüße moderne Copyright-Reformen, sehe hier aber bloß eine Einschränkung der Rechte von Nutzern. Erst diese Offenheit habe es Wikipedia erlaubt, erfolgreich zu sein. Maher mahnt auch, dass es genau solche Uploadfilter seien, die dafür sorgten, dass Wikipedia nicht in China oder der Türkei operieren darf.

Bibliografien kostenpflichtig

Doch auch das Leistungsschutzrecht bedrohe den Zugang zu freien Informationen, für den Wikipedia stehe, wie Dimitar Dimitrov, Repräsentant von Wikimedia in Brüssel, erklärt. So würde dieses bedeuten, dass etwa Bibliografien bei Artikeln lizenzpflichtig werden. Das gelte etwa bei Presseartikeln, die jünger als 20 Jahre alt sind. Im Vorschlag des Rechtsausschusses sind nichtkommerzielle Projekte wie Wikipedia zwar ausgenommen, allerdings ist unklar, welche Dienste in den Geltungsbereich fallen.

Dimitrov nennt etwa Wikipedias Bilderdienst oder Start-ups. Selbst der Berichterstatter für dieses Dossier, der deutsche Abgeordnete Axel Voss, bestätigte in einem Interview für die ARD, dass er nicht genau sagen könne, wer davon betroffen sein wird. Er gehe davon aus, dass erst die Höchstgerichte diese Fragen klären. "Bei so einer Rechtsunsicherheit hätten Projekte wie Wikipedia vor 20 Jahren nicht entstehen können", erklärt Dimitrov. Das hat zahlreiche digitale Branchenverbände, etwa die Bitkom, dazu veranlasst, vor der Reform zu warnen.

Angriff auf die Meinungsfreiheit und Zensur

Thomas Lohninger, Geschäftsführer von Epicenter.works, sieht einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. "Es geht hier um eine Vorabkontrolle der gesamten Kulturproduktion dieses Kontinents." Er warnt vor der Zensur, die dadurch entstehen könnte. "Eine derartige Infrastruktur ist brandgefährlich." Auch seien die Filtersysteme für große IT-Giganten wie Google und Facebook unproblematisch, da diese solche ja bereits nutzen.

Zudem seien Uploadfilter fehleranfällig. Gerade beim Urheberrecht sei Kontext wichtig, der nur durch eine menschliche Prüfung gewährleistet sein könne. Selbst Content ID, Googles enorm teurer eigener Uploadfilter, schlage oftmals schief. Auch spricht Lohninger den Faktor Privatsphäre an. "Wer soll solche Filter implementieren?" Da Plattformen selbst für Verletzungen haften müssen, liege es in ihrem Interesse, die Filter möglichst scharf zu schalten. Eines der wenigen bestehenden funktionierenden Filtersysteme sei Content ID. Das Unternehmen gebe schon jetzt Milliarden aus, um Konkurrenten zu kaufen und so Daten zu bekommen. Content ID zu öffnen "würde für Google sehr viel Sinn machen" – und dem Unternehmen einen massiven Zugriff auf europäische Daten gewähren.

Kompromiss: Lizenzen

"Natürlich ist nichts gegen Lizenzpflicht zu sagen", sagt Dimitrov. " Die gibt es schon, und wir haben auch nichts dagegen, wenn das Spielfeld zwischen den großen Giganten und den Verwertungsgesellschaften geebnet wird." Betroffene Organisationen würden aber selbst nicht wollen, dass gelöscht oder gefiltert wird, sondern dass sie für ihre Werke gerecht entlohnt werden. Es gebe ja schon einen Kompromiss für Artikel 13, der vom Binnenmarkt- und Bürgerrechtausschuss des Europäischen Parlaments vorgeschlagen wurde – der sehe vor, dass Plattformen, die urheberrechtliche Inhalte kommerziell nutzen, Lizenzen mit Rechteinhabern abschließen. Aktuell sei das Problem, dass Verwertungsgesellschaften keine starke Position gegen große, monopolistische IT-Konzerne haben.

Am 5. Juli kommt es zu einer Plenarabstimmung im Europaparlament, bei der das Gesetz bestätigt oder abgelehnt wird. Bei einer Ablehnung sollen im Herbst neue Abänderungen diskutiert werden. (Muzayen Al-Youssef, Fabian Schmid, 29.6.2018)