Ein Herzensanliegen ist die EU noch wenigen Kroaten. "Aber immerhin", sagt Politologe Dejan Jović über die Stimmung seiner Landsleute zur EU, "sie haben sich nicht viel erwartet, also sind sie auch nicht enttäuscht."

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Die Autos in Zagreb haben in diesen Tagen "karierte Ohren", die Außenspiegel tragen die Schachbrett-Muster-Flagge Kroatiens. Alle reden nur vom Fußball. EU-Flaggen sieht man kaum. Dabei jährt sich der Beitritt des 28. Mitglieds am Sonntag zum fünften Mal. "Die Kroaten waren nie enthusiastisch, wenn es um den EU-Beitritt ging. Sie haben sich nicht viel erwartet, also sind sie auch nicht enttäuscht", meint der Politologe Dejan Jović, der im Lesesaal der Universität in Zagreb sitzt.

Der Beitritt sei für viele Kroaten vor allem psychologisch wichtig gewesen, weil man sich von den postjugoslawischen Staaten im Süden distanzieren konnte und gleichzeitig die Ära der Transition abschloss. Wie in allen anderen Staaten Mittel- und Osteuropas war aber auch in Kroatien ziemlich rasch nach dem Beitritt zu merken, dass Brüssel keinen Reformdruck mehr ausüben konnte. Das führte zu einer Gegenreaktion – jene extrem konservativen, nationalistischen und illiberalen Kräfte, die vor dem Beitritt stillhielten, formierten sich verstärkt – vor allem in der Zivilgesellschaft.

Gegen Minderheiten

Agitiert wurde vor allem gegen die serbische Minderheit, deren Situation sich sofort verschlechterte. Zudem gab es zahlreiche Initiativen und Referenden zur Stärkung eines extrem konservativen Familien- und Gesellschaftsbildes. Diese wurden von der kroatischen katholischen Kirche unterstützt, die im Vergleich zur Kirche in anderen europäischen Staaten (neben Polen) weit rechts steht. Wie in den Nachbarstaaten Serbien und Bosnien-Herzegowina fehlt es auch in Kroatien an Bewusstsein für den Säkularismus.

"Wir haben realisiert, dass die Reformen nicht unumkehrbar sind", meint Jović. "Allerdings haben wir ab 2016 auch gesehen, dass die progressive Zivilgesellschaft ebenfalls mobilisieren kann, wenn es darum geht, Taten gegen Frauen oder ethnische und sexuelle Minderheiten entgegenzutreten." Kroatien ist zwar – so wie fast alle anderen Staaten in Europa in den vergangenen Jahren – nach rechts gerückt, allerdings nicht dem polnischen oder ungarischen Beispiel gefolgt, sondern hat keinen gegenaufklärerischen Weg beschritten.

Plenković verteidigt liberale Werte

Der vergleichsweise liberale Premier Andrej Plenković konnte sich, seit er 2016 ins Amt gekommen war, sowohl in der Partei als auch in gesellschaftspolitischen Fragen durchsetzen – zuletzt bei der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen. Der nächste Gradmesser sei das Referendum der rechtsnationalen Initiative "Das Volk entscheidet", bei dem es im Herbst auch darum gehen wird, die Rechte der Minderheiten im Parlament massiv einzuschränken, sagt der Politologe Žarko Puhovski.

"Wenn das Referendum Erfolg hat, würde das bedeuten, dass es eine klare Wende nach rechts gibt, aber noch sind wir wie Balletttänzer, die am Rande dieser Strömung balancieren", so Puhovski. Er verweist darauf, dass es rechts der konservativen HDZ keine bedeutenden Parteien gibt. "Wir haben im europäischen Vergleich den geringsten Anteil radikal rechter Parteien." Puhovski glaubt, dass dies in den nächsten zwei, drei Jahren so bleiben wird. Zurzeit ist jedenfalls nicht zu sehen, dass sich eine Partei wie die FPÖ oder AfD in Kroatien entwickelt.

Einsatz für Partikularinteressen der Herzegowiner

Als große Europäer sind die Kroaten aber sicherlich auch nicht aufgefallen. Im EU-Parlament werden die kroatischen Abgeordneten mit Misstrauen beäugt. Denn sie taten sich vor allem damit hervor, dass sie sich für die Partikularinteressen der herzegowinischen Nationalisten einsetzten, also einseitig für die eigene Volksgruppe im Nachbarland Partei ergriffen. "Im Zweifelsfall stimmen die Kroaten auch gegen alle anderen 27 EU-Staaten", kritisiert ein EU-Diplomat diese nationalistische Haltung. "Sie glauben, dass die europäischen Parteien in den weltanschaulichen Fragen nicht klar genug ihre Position zeigen", erklärt Puhovski dieses Verhalten.

Die außenpolitische Ausrichtung sei zudem von dem sehr rechten HDZ-Politiker Davor Stier formuliert worden. Auffallend war auch der Versuch, die EU-Verhandlungen mit Serbien per Veto zu stoppen, was allerdings misslungen ist. Nun will Kroatien möglichst schnell zum innersten Zirkel der EU gehören und dem Schengen- und dem Euroraum beitreten. Auch für andere EU-Staaten wäre das zum Vorteil – so müssten die Urlauber nicht mehr stundenlang an der Grenze warten, und Zagreb wäre für den Schutz der Außengrenze zuständig.

Druck, Grenzstreit zu lösen

Allerdings wird Slowenien wohl ein Veto dagegen einlegen – weil Kroatien den internationalen Schiedsspruch zum Grenzstreit nicht anerkennt. "Der Druck auf Kroatien und Slowenien, sich in der Frage zu einigen, ist jetzt noch größer geworden, weil sogar Mazedonien und Griechenland einen Kompromiss fanden", meint Jović. Dass es jenseits der Streitereien mit den Nachbarn, aber auch ein gewisses postjugoslawisches Miteinander gibt, zeigt aber nicht nur die Tatsache, dass viele Slowenen gern in Kroatien urlauben, sondern auch, dass Umfragen zufolge 64 Prozent der Kroaten beim Match zwischen Serbien und Brasilien diese Woche Serbien unterstützten. In der nachbarschaftlichen Konkurrenz steckt offenbar auch Respekt. (Adelheid Wölfl, 29.6.2018)