Frankreichs Präsident Macron (li.) und Italiens Premier Conte (re.) einigten sich darauf, dass geschlossene Flüchtlingszentren auch in der EU liegen können.

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Nicht alles, was die Staats- und Regierungschefs der EU in der Nacht auf Freitag beschlossen haben, erschließt sich auf der ersten Blick – oder auch auf den zweiten. Zwischen unverbindlich klingenden Phrasen verbergen sich aber doch einige Weichenstellungen für die künftige Migrationspolitik der Union.

Frage: Was war das Wesentliche der Entscheidungen?

Antwort: Eindeutig ist vor allem, dass es eine Verschärfung der Migrationspolitik geben soll. Dabei soll es vor allem um eine Eindämmung der illegalen Migration vor Nordafrika aus gehen. Hier sind die Beschlüsse ziemlich konkret, sie gehen deutlich über das hinaus, was schon bekannt war. Erstmals wurde als Grundprinzip festgelegt, dass möglichst wenige Menschen illegal nach Europa gelangen sollen. Deutlich weniger klar sind die Vorschläge für die "innere Dimension", also was mit jenen Migranten passiert, die Europa bereits erreicht haben.

Frage: Es soll zwei Arten von Lagern geben: Anlandezentren und Kontrolllager. Was unterscheidet sie?

Antwort: Kontrolllager sollen jenen Lagern ähnlich sein, die es bereits gibt und die bisher Hotspots heißen – sie sollen aber geschlossen sein. Sie sind in europäischen Ländern und werden von den Nationalstaaten geführt. Dort werden jene Menschen auf ihre Asylaussichten hin überprüft, die schon in der EU sind. Jene, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, sollen dagegen in Anlandezentren kommen, die mit dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration, der IOM, geführt werden. Sie sollen sich außerhalb der EU, in Nordafrika, befinden.

Frage: Wie soll das gehen?

Antwort: Über Deals mit den nordafrikanischen Staaten nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens. Zudem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex verstärkt werden. Auch Schiffe von NGOs sollen sich an geltendes Recht halten müssen und nicht in "Rettungskonkurrenz" mit Nordafrikas Küstenwachen treten dürfen.

Frage: Marokko, Tunesien, Libyen haben aber doch bereits abgesagt. Wie soll die Zustimmung der Länder, in denen diese Zentren stehen sollen, dennoch erreicht werden?

Antwort: Die Türkei hat für den Flüchtlingsdeal von 2016 zweimal drei Milliarden Euro bekommen. Die EU-Mittel für Migration sollen deutlich erhöht werden, im kommenden Finanzrahmen sollen bis zu 20 Milliarden zur Verfügung stehen. Das soll es ermöglichen, Staaten zu überzeugen.

Frage: Die EU-Staats- und Regierungschefs sprechen von einer "Einigung". Gab es die überhaupt?

Antwort: Nun ja: Es handelt sich um Ideen und Vorschläge, die zum Teil schon lange auf dem Tisch liegen. Neu ist, dass sie jetzt auch schriftlich zu einem Aktionsplan zusammengefasst worden sind. Die Nagelprobe liegt aber freilich darin, sie mit Leben zu erfüllen.

Frage: Hat sich in der Frage der Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU etwas bewegt?

Antwort: Es gibt nun eine deutliche Abkehr von der verpflichtenden Verteilung von Asylwerbern. Stattdessen soll die Aufnahme freiwillig geschehen. Die "Pflicht zu Solidarität" wurde zwar festgehalten, das Quotensystem gibt es in dieser Form aber nicht mehr.

Frage: Was wollte Italien mit dem angedrohten Veto erreichen – und was hat die Regierung damit erreicht?

Antwort: Vor allem wollte Premier Giuseppe Conte Anerkennung dafür, dass Mittelmeeranrainerstaaten wie Italien und Griechenland das Problem nicht allein nicht lösen können. Aus dieser Sicht hatte Rom Erfolg. Auch der rechte Innenminister Matteo Salvini, Hardliner in Migrationsfragen, lobte die Erklärung Freitagmittag.

Frage: Was heißt das für Dublin?

Antwort: Das Dublin-System soll reformiert werden, Italiens Forderung nach einer sofortigen Änderung wurde aber nicht erfüllt. Klar soll aber sein, dass alle Staaten Verantwortung übernehmen und Asylwerber aufnehmen müssen.

Frage: Ist in der Frage der bilateralen Abkommen, auf die Deutschland drängt, etwas weitergegangen?

Antwort: Da gibt es keine konkreten Fortschritte. Kanzlerin Angela Merkel hat mit Polen, Dänemark, den Niederlanden, Frankreich und Griechenland und Spanien Deals vereinbart. Mit anderen Staaten, aus denen viele Asylwerber einreisen – vor allem aus Italien – soll nach Merkels Willen nun Innenminister Horst Seehofer Deals machen.

Frage: Und wer sind die Freiwilligen für Umverteilung und Kontrolllager?

Antwort: Die gibt es bisher nicht. Was die Kontrolllager betrifft, sind Staaten, die bisher schon Hotspots haben – Italien und Griechenland – naheliegend. Zustimmung soll ihnen durch Hilfen schmackhaft gemacht werden.

Frage: Wo macht Österreich mit?

Antwort: Wien unterstützt laut Kanzler Sebastian Kurz alles, was zu einer Eindämmung der illegalen Migration beiträgt. An der Aufnahme von Asylwerbern beteiligt man sich aber unter Verweis auf die schon in Österreich befindlichen Immigranten nicht.

Frage: Was kostet das alles?

Antwort: In den Afrika-Treuhand-Fonds sollen 500 Millionen fließen, in künftige Deals Milliarden. (Thomas Mayer aus Brüssel, Manuel Escher, Anna Giulia Fink, 30.6.2018)