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Blick von der Schafalm auf das Dachsteinmassiv (re.) bei Abendstimmung, Kulisse für "Servus Europa".

Foto: APA / picturedesk / Barbara Gindl

Die Gondeln der Planai-Bahn wurden extra für das Event mit EU-Flaggen beklebt.

Foto: Stefanie Gründl

Auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadtzentrum kommt man in Schladming an zwei Kreisverkehren vorbei. In einem wird für "Servus Europa" geworben, im anderen für das Slalom-Nightrace im Jänner 2019.

Foto: Rosa Winkler-Hermaden

Die Gondeln sind zu klein. Oder: Das Protokoll ist ein Hund. Wie man es dreht und wendet, der Plan geht nicht auf. Der nämlich wäre gewesen: Bundeskanzler Sebastian Kurz, Bulgariens Premier Bojko Borissow und Ratspräsident Donald Tusk fahren gemeinsam in einer Kabine den Berg hinauf. Der vierte Platz gehört dem Cobra-Beamten, der sich um die Sicherheit der Staatsmänner kümmert. Doch der Ablauf funktioniert so nicht.

Borissow spricht weder Englisch noch Deutsch. Ihn ohne Dolmetscher in der eigens mit bulgarischer und österreichischer Fahne beklebten Gondel hochzuschicken, wo er kein Wort versteht, geschweige denn eines mit seinen Sitznachbarn wechseln kann, wäre ein Akt der Unhöflichkeit. Zu fünft ist es zu eng. Die Politiker werden daher einzeln auf die Planai fahren, jeder in einer Gondel, beflaggt oder unbeflaggt. Und treffen erst bei der Bergstation wieder aufeinander.

Wohlfühlparty in den Bergen

Das Drehbuch für den Tag der Übergabe der Ratspräsidentschaft hat Stefanie Gründl fix und fertig in ihrem Kopf. Beziehungsweise schlummert es in ihrem Smartphone. Fragt man nach Namen oder Zahlen, tippt und wischt sie ein paar Sekunden – und schon hat sie die Antwort parat. Wann die Spitzenpolitiker eintreffen? "9.20 Uhr", antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.

Alle Abläufe müssen mit offiziellen Stellen abgesprochen sein: Bundeskanzleramt, Landesregierung, Ministerbüros. Für Gründl, bisher in erster Linie im privaten Sektor tätig, ist die Einhaltung des Protokolls Neuland. Auf ihrer Visitenkarte steht "Business Architect". Diesmal ist Gründl Cheforganisatorin von "Servus Europa", jener Veranstaltung, mit der Österreich am Samstag turnusmäßig den EU-Ratsvorsitz von Bulgarien übernimmt.

Die Themenlage in der EU ist derzeit alles andere als einfach – bei Brexit oder Asyl gehen die Wogen hoch. Am Samstag sollte dennoch Wohlfühlstimmung verbreitet werden: zum Beispiel beim Familienpicknick auf dem Gipfel der Planai, inklusive Gratisfahrt mit der Gondel auf den Berg, wo Picknickdecken und -beutel, gefüllt mit Schmankerln aus der Region, verteilt werden. Abends dann die Gute-Laune-Party im Tal in der Schladminger Skiarena: ein großes Konzert mit heimischen Popacts, aber auch Laienmusikern aus verschiedenen EU-Ländern.

Panorama als Kulisse

Picknickgäste und Journalisten aus ganz Europa auf der Schafalm: In Gründls Smartphone ist alles aufgelistet. Dann, Samstag, elf Uhr, der offizielle Startschuss. Wimpel, Fahnen und ein geschnitztes Staffelholz – Gründl und ihr Team haben drei Optionen vorbereitet, auf die Kurz und Borissow zurückgreifen können, um die Übergabe symbolisch für die vielen Kameras zu inszenieren. Auch die Kulisse für das Foto ist bereits ausgewählt. Von der Terrasse der Schafalm-Hütte blickt man auf ein wunderbares Dachstein-Panorama.

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Theoretisch zumindest. Denn Wolken könnten die Sicht verhängen. Die Wettervorhersage liegt Gründl im Magen. Sie ist fünf Tage vor dem Event mit der Gondel unterwegs zum Hüttenwirt, um die Abläufe ein letztes Mal durchzugehen. Das Handy läutet. Jemand aus dem Kanzleramt will wissen, wie das Schlechtwetterprogramm aussehe. Im Fall der Fälle muss das Kongresszentrum herhalten. Bei Gründl macht sich aber Optimismus breit. Die Wetter-App zeigt sieben Stunden Sonnenschein – nur ein wenig Regen in der Früh.

Auch bei Gründls Visite nieselt es auf der Planai, bei der Bergstation hat es frische sechs Grad. Trotzdem vertreten sich vereinzelt Touristen die Beine. Zur Schafalm-Hütte, wo sich Kurz, Tusk und Borissow zunächst zum Arbeitsfrühstück treffen, geht es ein paar Höhenmeter den Berg hinunter. Mit Wirt Heinz Schütter hält Gründl Ausschau nach einem ruhigen Plätzchen für die Politiker. Laut Protokoll muss es uneinsehbar sein, die Herren sollen sich in Ruhe austauschen.

Mammutaufgabe

"Orange trägt nur die Müllabfuhr" – aus den Lautsprechern dröhnt ein Ballermann-Hit. "Die Musik wird dann abgedreht, oder?", fragt Gründl amüsiert. Wirt Schütter weiß Bescheid. Einen Ratspräsidenten hat er zwar noch nicht in seiner Hütte zu Besuch gehabt. Der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kam mit seinen Leuten aber einst zum Wahlkampfauftakt. Der Brandmelder ging los, als das Team an der Bar rauchte.

Bei Kurz' Besuch soll es rauchfrei zugehen. Gründl gibt ein Jausenbuffet in Auftrag. Das Bundeskanzleramt sei sehr unkompliziert, es gebe keine Extrawünsche.

Alles easy? Tatsächlich ziehen im Hintergrund Scharen von Beamten seit Monaten die Fäden. Der Eröffnungsevent in Schladming ist nur ein kleiner Baustein der logistischen Mammutaufgabe Ratsvorsitz. Bis Ende des Jahres finden über 300 Veranstaltungen in ganz Österreich statt.

Man rechnet mit 46.000 Teilnehmern. Regierungschefs und Minister sind das eine – den Großteil der Gäste machen die Hundertschaften an Beamten aus, die sich austauschen werden. In Wien wurde das Austria-Center neben der Uno-City zur EU-Ratsvorsitz-Zentrale umfunktioniert.

Neues Credo

Budgetiert sind 43 Millionen Euro, die tatsächlichen Kosten dürften aber mehr als das Doppelte ausmachen. Nach dem Ratsvorsitz 2006 erstellten das IHS und das Wifo Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung. Beide errechneten, dass Österreich profitiert hat. Darauf hofft man auch diesmal. Einher gehen die Tagungen mit Begleitprogramm, der Heurigenort Grinzing wird belagert sein.

Für Events und Kommunikation sind 1,5 Millionen Euro vorgesehen. Wie viel das Fest in Schladming kostet, ist nicht bekannt. Die Neos haben eine parlamentarische Anfrage eingebracht. Sie hinterfragen auch die Zielvorgaben für die beauftragten Eventagenturen.

Von einer dieser Agenturen wiederum wurde Gründl engagiert. Die Selbstständige arbeitet erst seit Mitte Mai an der Umsetzung von "Servus Europa". Der Regierungswechsel von Rot-Schwarz auf Schwarz-Türkis hat einiges auf den Kopf gestellt. Dass etwa der Großteil der informellen Gipfel in den Bundesländern stattfindet und nicht in Wien, wurde erst angeordnet, als Sebastian Kurz ins Bundeskanzleramt eingezogen war. "Subsidiarität" ist nun das Credo.

Grüne Präsidentschaft

Der Taskforce, die an der Ratspräsidentschaft arbeitet, gehören Vertreter aller Ministerien an. Koordiniert wird sie vom Exekutivsekretariat des Kanzleramtes. Das Verteidigungsministerium stellt die Fahrer für die Staatsgäste zur Verfügung. Das Innenministerium kümmert sich um Sicherheitskonzepte. Das Umweltministerium achtet darauf, dass der Vorsatz, eine "Green Presidency" abzuhalten, nicht zum Slogan verkommt.

Eventmanagerin Gründl musste deshalb auch darauf achten, dass der Picknickbeutel, der auf dem Gipfel verteilt wird, aus Biobaumwolle ist. Wieder läutet ihr Handy. Diesmal erkundigt sich das Büro des steirischen Landeshauptmanns, wie der exakte Dresscode sei. Traditionell oder formell? Tracht oder Anzug? Man will sich keine Blöße geben. Ein paar Anrufe und Textnachrichten später wird Gründl auch für diese Anfrage die passende Antwort parat haben. (Rosa Winkler-Hermaden, 30.6.2018)