Robert Seeger arbeitet von 1965 bis 2008 für den ORF. Nach dem WM-Intermezzo bei oe24.tv kommentiert er wieder bei Puls 4.

Foto: STANDARD/Newald

Weniger geworden sind nur die Haare, geblieben ist die Liebe zum Sport: "Es ist die Leidenschaft, einfach noch etwas machen zu können, das mir Spaß macht", sagt Robert Seeger. "Das Schöne ist, dass du das Gefühl hast, sie wollen dich und sie brauchen dich."

Wenn am 15. Juli um 17 Uhr das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen wird, sitzt Robert Seeger nicht im Moskauer Luschniki-Stadion, sondern im Büro von Österreich beim Wiener Karlsplatz, wo er sein insgesamt zwölftes WM-Finale kommentieren wird, für Wolfgang Fellners Sender oe24.tv, der vom ORF die Zweitrechte erworben hat, acht Spiele live zeigen durfte und den Rest zeitversetzt ausstrahlt.

Bis 2006 saß Robert Seeger bei WM-Finalspielen neunmal für den ORF hinter dem Mikrofon, nach seiner Pensionierung 2008 schrumpfte das Millionenpublikum auf ein paar hundert Zuhörer: "2010 hat mir das Grazer Casino das Angebot gemacht, das Finale live für die Gäste dort zu kommentieren, und 2014 habe ich es bei den Reininghaus-Gründen in der Halle eines Investors gemacht." Was zählt: Live is live.

Auf Rekordjagd

Im Alter von 76 Jahren wieder bei einem Finalspiel dabei zu sein war der Hauptanreiz für das WM-Comeback, sagt Seeger zum STANDARD, weil: "Nur im Team mitzuschwimmen hätte ich mir wahrscheinlich nicht mehr angetan." Ob es ihm auch um Rekorde gehe? "Natürlich", denn: "Die Weltmeisterschaft war mir immer heilig."

Heilig war sie ihm auch beim ORF, für den er von 1965 bis 2008 kommentierte und moderierte – am Ende waren es über 500 Fußballspiele, mehr als 1000 Skirennen, neun Olympische Sommer- und zehn Winterspiele sowie ein Formel-1-Rennen: den Grand Prix von Brasilien 1972.

Heinz Prüller war zwar vor Ort, um für Zeitungen zu schreiben, das Rennen musste aber von Wien aus kommentiert werden, da kam Seeger ins Spiel: "Emerson Fittipaldi hat von Anfang bis zum Ende geführt, und die haben fast nur ihn gezeigt. Da hast keinen Fehler machen können." Er sei aber sehr gut vorbereitet gewesen, betont er: "Wie immer. Das war Teil meines Erfolges."

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Zum ORF ist Seeger durch Zufall gekommen. 1964 hat er ein Jahr bei der Filmabteilung der Uno in New York gearbeitet. Er wollte eigentlich dortbleiben, hatte die Green Card bereits in der Tasche, ging aber aufgrund eines drohenden Einsatzes in Vietnam wieder zurück nach Österreich, wo er von Radio Steiermark interviewt wurde. Der 23-Jährige wurde vom Fleck weg engagiert, der Rest ist Sport- und ORF-Geschichte.

Córdoba-Stimme

Obwohl Córdoba 1978 immer nur mit Edi Fingers Radiostimme verbunden wird, war es Seeger, der im Fernsehen zu hören war: "Ich war ihm aber nicht neidig", sagt er 40 Jahre später: "Er hat das sehr blumig gemacht und gut geschildert." Dass Seeger viel Jahre so gut wie gar nicht mit Córdoba in Verbindung gebracht wurde, lag an einer technischen Panne: "Die Euphorie beim Fernsehen war so groß, dass man für alle nachfolgenden Sendungen sofort das Krankl-Tor wollte. Man hat dabei den Ton gelöscht." Die Tonspur sei erst vor zehn Jahren wieder aufgetaucht: "Jetzt gibt es mich wieder."

Prägender als Córdoba waren für Seeger aber andere Spiele: Etwa der Nichtangriffspakt von Gijón bei der Weltmeisterschaftspartie zwischen Österreich und Deutschland im Jahr 1982: "Damals habe ich gesagt: Ich schäme mich für das Spiel dieser österreichischen Mannschaft." Das habe ihm nicht nur Freunde beschert: "Meine Frau hat bei der Post gesagt, dass sie das Telefon abschalten sollen."

Als euphorisierter "Stimmungsreporter" sei er in der Früh von Madrid nach Gijón gefahren: "Innerlich aufgewühlt und vorbereitet: Heute schicken wir die Deutschen heim. Und dann kam das Spiel." Und mit ihm die Scham.

Katastrophe im Heysel-Stadion

Für seine Persönlichkeit noch wichtiger sei nur noch das Meistercup-Finale 1985 im Brüsseler Heysel-Stadion zwischen Juventus Turin und Liverpool gewesen. Nach einer Massenpanik vor dem Spiel kamen 39 Fans ums Leben: "Ich habe mich geweigert, das Match normal zu kommentieren und nur in Bruchteilen gesprochen." Die Entscheidung der Uefa, das Spiel anzupfeifen, falle in die Kategorie Schande: "Das war eine Riesenfarce." Und: "Besonders empört hat mich der Jubel der Italiener schon im Wissen, dass zahlreiche Landsleute tot waren."

Nach seiner Pensionierung beim ORF landete Seeger im Privatfernsehen. Ex-Sportchef Christian Nehiba holte ihn 2010 zu Puls 4, wo er zuerst Football, später Skicross und seit einigen Jahren Fußball kommentiert. Aktuell liefert er gemeinsam mit Andi Gröbl in der Europa League die "längste Torparade der Welt". Stilecht im Norwegerpulli. Es gilt, das Image zu kultivieren.

Fiebert auch heute noch mit, wenn sich Spieler ärgern: Für den ORF hat Robert Seeger neun Finalspiele bei Fußball-Weltmeisterschaften kommentiert, was ihm einen Eintrag im "Guiness-Buch der Rekorde" brachte. Wenn auch nicht mehr regelmäßig und vor einem Millionenpublikum: Seeger macht weiter.
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Über den ORF möchte er nichts Schlechtes sagen, nur: Im Vergleich zu seiner Zeit, als neben seiner Wenigkeit etwa ein Hans Huber, Heinz Prüller, Sigi Bergmann oder Erich Weiss am Ruder waren – "das wären heute alles Granaten" – sei die derzeitige Sportredaktion "dünn besetzt" .

Für den besten ORF-Kommentator hält er Thomas König, obwohl der ein sprachliches Manko habe: "Er ist Vorarlberger."

Der zweite Gute sei Oliver Polzer: "Der war ein Schüler von mir." Was er ihm geraten habe? "Er hatte lange Zeit das Problem, dass er Fußball von oben herab kommentiert hat." Dann habe er gesagt: "Oli, das ist es ned. Du musst dich mit einem Spiel identifizieren, verstehst?"

Gesagt, getan

Polzer hat das verstanden, sagt Seeger: "Für einen Fußballreporter gibt es eine Binsenweisheit: Sag das, was der Zuseher daheim denkt." Sei kritisch und beschönige nichts: "Sag, dass es ein Arsch-Match ist." Und: "Spielt deine Mannschaft schlecht, langweile die Leute nicht mit Banalitäten. Die werden wahnsinnig." Außer sie sind interessant: "Wenn ein Spieler acht Kinder von vier verschiedenen Frauen hat, okay, aber die Schuhgröße von Suárez interessiert niemanden."

Sein Credo: immer zu einer Mannschaft halten. "Nur so lebst du als Kommentator mit. So bist du emotionaler, wenn dein Team gut spielt, und kritischer, wenn es schlecht spielt."

Mit so einfachen Formeln habe er die Stimmung der Zuseher getroffen: "Deswegen haben mich die Leute 40 Jahre gemocht, mögen mich heute noch und bedauern, dass sie mich so selten hören. Viele würden mich noch gerne beim ORF hören."

Zu einer Mannschaft hat Seeger jedenfalls immer gehalten: Sturm Graz. Die Liebe zum Verein hat einen familiären Grund: Im Elternhaus, Seegers Vater führte ein Papierfachgeschäft, war Fußball eher verpönt. Klein-Seeger musste Violine spielen. Bis er mit 14 Jahren seinen Vater so angebettelt hatte, mit ihm nur einmal auf den Sportplatz zu gehen: "Und da hat halt Sturm gespielt. Hätte der GAK gespielt, wäre ich GAK-Anhänger geworden."

Die liebe Skifamilie

Noch lieber als Fußballspiele waren Seeger aber Skirennen: "Wir waren immer erfolgreicher als im Fußball, da hat nichts schiefgehen können." Zu seiner Zeit habe es auch den berühmten Neunfachsieg gegeben: "Und wir haben uns geärgert, dass der zehnte ÖSV-Läufer versagt hat und nur 13. geworden ist", sagt Seeger und lacht. Die Weltcupmonate mitten im Skitross waren sehr familiär: "Du warst über drei Monate mit allen beieinander, hast im gleichen Hotel gelebt und bist am Abend zusammengesessen." Keine Spur von journalistischer Distanz: "Du brauchtest keine. Einmal hat der Gigl gewonnen und einmal der Gogl." Auch mit den ausländischen Athleten war man auf Du und Du. Freundschaften waren die Folge: "Würde Alberto Tomba jetzt bei der Türe reinkommen, würde er mir um den Hals fallen." (Oliver Mark, 30.6.2018)